Let's get physical: «Shadow of Fire» Blu-ray-Review
«Fascht e Familie»: Drei Menschen versuchen in einer zerbombten japanischen Stadt normal zu leben. Im bis dato neusten Filmrelease dieser Rubrik besprechen wir «Shadow of Fire» von Third Window Films.
Während Obsession lange ein Thema in den Filmen von Shinya Tsukamoto war - Bullet Ballet, Vital (erst kürzlich besprochen) und Tokyo Fist sind nur ein paar Beispiele -, scheint der Japaner seit einigen Jahren seinen Fokus auf sein Heimatland in wegweisenden Kriegen zu legen. Während Killing von 2018 in der Edo-Zeit spielt, handelt Fires on the Plain von einem japanischen Trupp am Ende des Zweiten Weltkriegs, der in den Philippinen stationiert ist. Shadow of Fire, oder Hokage im Original, feierte wie die meisten seiner Filme in Venedig Weltpremiere und rundet diese «Kriegstrilogie» ab.
Worum geht's?
Nach den Bombardierungen durch die amerikanische Airforce im Zweiten Weltkrieg liegt die unbenannte Stadt in Schutt und Asche. In einem der wenigen Häuser, die noch stehen, lebt eine junge Frau (Shuri). Ihre Familie hat die Angriffe nicht überlebt und sie verkauft ihren Körper, um an Geld zu kommen. Ein namenloser, obdachloser Waise (Ouga Tsukao) schleicht sich immer wieder bei ihr in den verlassenen Ramen-Shop ein, um etwas Essbares zu entwenden.
Um auch nur annähernd sowas wie ein normales Leben zu führen, lässt sie den Jungen und einen ihrer Kunden (Hiroki Kono) bei sich wohnen und versucht, eine Art Familienleben aufzubauen. Das geht eine Weile gut, doch die Traumata des Trios lassen ein harmonisches Zusammenleben nicht zu. Das Ganze bricht komplett auseinander, als der Junge von einem ehemaligen Soldaten (Mirai Moriyama) auf einen Trip mitgenommen wird. Wohin und weshalb, verrät er nicht.
Wie ist's?
Shadow of Fire ist in etwa so bedrückend, wie die Prämisse klingt. Der Film beginnt zwar relativ sanft, sobald aber die Patchwork-Familie zusammenkommt, wird's laut. Einerseits, weil Tsukamoto sich trotz sehr warmen, schönen Farben zu ein paar schrillen Schwarzweiss-Passagen hinreissen lässt. Und andererseits, weil vor allem das PTSD der «Vaterfigur» ihn immer wieder zum Schreien und Heulen bringt. Alle drei spielen die gebrochenen Seelen stark, doch der Ausreisser nach oben ist der noch nicht mal zehnjährige Ouga Tsukao, dessen riesige Knopfaugen zum emotionalen Anker der Geschichte werden. In Japan gibt es ein Sprichwort: «Die Augen sprechen so eloquent wie der Mund» - und bei Tsukao trifft dies sowas von zu.
Die erste Hälfte ist ein Kammerspiel im heruntergekommenen Ramen-Shop, der Roadtrip zu Fuss im zweiten Teil macht das Ganze dann etwas auf. Allerdings sieht dieser Teil markant schwächer aus, wirkt er doch fast wie mit einem Smartphone gefilmt und fängt nicht mehr diese warme Atmosphäre des Ramen-Shops ein. Dafür wird die Handlung umso spannender, je näher sie auf den Höhepunkt zugeht. Zwar kann man die Motivation des Soldaten durchaus erraten, doch als sie ausformuliert wird, klopft das Herz schon. Und im Epilog, der wieder im zerbombten Städtli spielt, wird umso emotionaler.
In Tsukamotos Filmografie gehört Shadow of Fire zu seinen zugänglicheren Werken, verlässt er sich doch nur selten auf eine wilde Kamera oder undurchsichtige Stilmittel. Die Geschichte um drei zerstörte Seelen in einer zerstörten Stadt bewegt in der ersten und packt in der zweiten Hälfte durchaus. Er arbeitet mehr mit Blicken als mit Worten, wirkt so allerdings stellenweise träge.
4.5 von 6 Sternen
Blu-ray-Features von Shadow of Fire
- Audiokommentar von Filmkritiker Tom Mes
- Video-Essay von Robert Edwards «The Reality Of Violence»
- Aufnahmen von Cast und Crew bei Vorstellungen des Films
- Gespräch zwischen Regisseur Shinya Tsukamoto und Autor Kota Ishii
- Trailer
- Slipcase aus Papier mit hochwertigen Druck und alternativem Cover, designt von Ian McEwan
- Japanische Originaltonspur und englische Untertitel
- Region-free
Shadow of Fire ist seit dem 30. September 2024 auf Blu-ray erhältlich. Mehr Infos gibts auf thirdwindowfilms.com. Blu-ray zur Verfügung gestellt von Third Window Films.