«Resilient Man»: Das Interview mit Startänzer Steven McRae

Solotänzer Steven McRae spricht über den «Returning Tiger», seine Inspirationsquelle, die Erwartungen an Tänzer, seine bereichernde Rolle als Mentor wie auch über Momente der Magie auf der Bühne.

Steven McRae in «Resilent Man» © filmcoopi

Der Dokumentarfilm Resilient Man von Stéphane Carrel porträtiert den Startänzer Steven McRae und seinen langwierigen Weg nach einer Verletzung zurück auf die Ballettbühne. Wir trafen Steven McRae zum Interview in Zürich.

Wie geht es dem «Returning Tiger»? Konntest du ihn in der Zwischenzeit zähmen?

(lacht) Dieses von mir ausgedachte Konzept, dass ich mich beim Tanzen wie ein entfesselter Tiger fühle, sehe ich als etwas Positives wie auch als etwas, dessen ich mir stets bewusst sein sollte: Wenn ich völlig frei bin und mir keine Gedanken darüber mache, ob etwas perfekt ist oder nicht, fühle ich mich wie ein entfesselter Tiger auf der Bühne. Jedoch habe ich die Erfahrung gemacht, dass es gefährlich wird, wenn dieser Tiger ständig entfesselt ist. Denn wenn man denkt, unbesiegbar zu sein, fängt man an, zu allem Ja zu sagen. Ich musste daher lernen, wie ich dieses Tigergefühl nutze.

Weil du in diesen wiederkehrenden Tiger-Momenten deine Grenzen oder auch Schmerzen nicht wahrnimmst?

Ja, genau. Wenn man von Natur aus ein getriebener Mensch ist, wird man sehr gut darin, Unannehmlichkeiten auszublenden und alles zu tolerieren. Jedoch denke ich, dass der Tiger grundsätzlich eine gute Sache ist. (lacht)

Als achtjähriger Junge siehst du während deiner Stepptanznummer ein bisschen aus wie Fred Astaire.

(beide lachen)

War er als Kind deine Inspiration?

Nein, ganz und gar nicht. Alle meine frühen Inspirationen stammen vom Motorsport. (lacht) Das Inspirierende waren für mich die Rennfahrer mit all ihren Geschichten und Schwierigkeiten, die sie zu überwinden hatten. Mir wurde vermittelt, dass Schwierigkeiten normal seien und dass es sich lohne, für etwas zu kämpfen. Mit dieser Haltung aufzuwachsen, war sehr prägend für mich.

© Filmcoopi

Du sprichst im Dokumentarfilm über die ständig wachsenden Erwartungen, die auf einem Tänzer lasten. Inwiefern werden ebendiese von aussen an den Tänzer herangetragen?

Ich denke, Tanzensembles wollen ein sehr vielfältiges Repertoire haben, was wunderbar ist. Jedoch stellt gerade dies zusätzliche Anforderungen an den Körper. Es gab Zeiten, wo ich in neun verschiedenen Balletten gleichzeitig mitgewirkt habe.

Was gibt Tänzerinnen und Tänzern die Kraft, ein solches Pensum durchzuhalten? Ist es Leidenschaft, Willenskraft oder Spass?

Es ist alles davon. Aber auch die Angst, dass man ersetzt wird oder als schwach und unzuverlässig gilt, wenn man sagt, es sei zu viel. Die Karriere abzusichern und sich zugleich physisch wie auch psychisch gesund zu halten, ist eine stete Gratwanderung in unserem Beruf.

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Bei den Proben trägst du ein T-Shirt mit dem Aufdruck «Disziplin ist kein Schimpfwort». Was ist die Geschichte hinter diesem T-Shirt und was hat der Spruch mit dir zu tun?

Mir wurde dieses T-Shirt vor vielen Jahren vom Brand zugeschickt und ich liebe es seither. Unser Beruf ist von einem sehr heiklen Gleichgewicht geprägt: Disziplin kann jene beschreiben, die sich immerzu pushen lassen. Jedoch charakterisiert Disziplin auch jene, die sagen können, wann es genug ist.

Hat dich Disziplin zum «Resilient Man» gemacht?

Ja, ich glaube schon. Wenn man eine gravierende Verletzung erleidet, ist es schwer genug, das Gebäude wieder zu betreten. Denn man ist sich bewusst, dass die Rückkehr in diese Tanz-Umgebung auch Unbehagen hervorrufen kann. Aber die Disziplin bringt einen dazu, es dennoch zu tun.

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Ich habe dich gerade als Mentor in einer Master Class erlebt. Was ist die wichtigste Botschaft, die du den jungen Tänzerinnen und Tänzern auf den Weg geben möchtest?

Obwohl sie nach dieser unerreichbaren Perfektion streben, sind sie in erster Linie Menschen und dürfen daher verletzlich sein oder auch Fehler machen. Dieses Streben nach Perfektion könnte sie zudem daran hindern, kreativ zu sein. Ich glaube, das war meine Botschaft heute.

Inwiefern bereichert dich die Arbeit als Mentor?

Als Künstler wäre es unglaublich egoistisch, wenn ich alles, was ich gelernt habe, für mich behielte. In der Lage zu sein, etwas weiterzugeben, selbst wenn es nur eine Sache ist, die in irgendeiner Weise helfen könnte, - ist das nicht einfach schön? Für mich ist das der ganze Sinn des Lebens.

Sollte die Wiedergeburt real sein: Würdest du wieder Tänzer werden wollen?

Ich habe sehr viel Glück mit dem Weg, den ich bis jetzt als Tänzer zurücklegen konnte. Jedoch bin ich auch jemand, der gerne erforscht und sich verschiedenen Herausforderungen stellt. Vielleicht würde ich als Astronaut, Architekt oder Rennfahrer zurückkommen. Aber dann gibt es wiederum diese seltenen Momente auf der Bühne, die mir ein Gefühl wie kein anderes vermitteln. Es ist fast, als stehe die Welt still, und pure Magie stellt sich ein.

Resilient Man läuft jetzt in den Deutschschweizer Kinos

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Catherine Szeitner [csz]

Catherine liebt es seit ihrer Kindheit, in filmische Anderswelten und gute Geschichten einzutauchen. Abgesehen von Horror, kann sie sich für vieles begeistern und freut sich immer wieder, wenn sie dabei etwas Neues entdeckt. Ihr Lieblingsfilm ist Cinema Paradiso (1988) von Giuseppe Tornatore. Catherine ist seit 2024 bei OutNow.

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