Let's get physical: «Love Hotel» Blu-ray-Review

Nach einem abgebrochenen Selbstmordversuch trifft ein Taxifahrer auf die Frau, der er bleibenden Schaden zufügte. Dieses melancholische Drama ist trotz expliziter Szenen sehenswert.

© Third Window Films

Nach The Crazy Family und Luminous Woman komplettieren wir das letzte Trio der Directors-Company-Veröffentlichungen von Third Window Films mit Love Hotel von Shinji Somai. Somai führte bereits bei Luminous Woman Regie. Nach seinem Mainstream-Erfolg Typhoon Club erkennt man in Love Hotel seine berufliche Herkunft aber wieder ein ganzes Stück mehr. Er arbeitete vor seinen «regulären» Spielfilmen an sogenannten «Pink Films», zu dem Filme wie Female Prisoner #701: Scorpion oder School of the Holy Beast zählen. Im Westen kennen wir nichts wirklich Vergleichbares. Am ehesten wären es Erotikfilme wie Fifty Shades of Grey, allerdings oftmals mit mehr Gewalt. Der grösste Produzent dieser Filme war Nikkatsu, wo Somai als Regieassistent für verschiedene Produktionen tätig war. Love Hotel gehört ins Subgenre des «roman porno», also der romantischen Pornografie. Allerdings sind aufgrund von Zensurgesetzen die «entscheidenden Teile» nie sichtbar.

Worum geht's?

Tetsuros Firma steht vor dem Bankrott. Und weil er seine Schulden bei der Yakuza nicht bezahlen kann, rächen sich diese an ihm und seiner Frau, indem sie letztere vergewaltigen. Er entschliesst sich, sich das Leben zu nehmen, doch davor will er noch etwas richtig Verrücktes tun. Seine Idee: Sex mit einer Prosituierten haben und dann sie und sich selbst umbringen. Doch im letzten Moment bricht er die Tat ab. Zwei Jahre später arbeitet Tetsuro als Taxifahrer in Tokio und lebt geschieden von seiner Frau. Als er auf Nami trifft, die der Prostituierten von seinem scheusslichen Versuch mehr als nur ähnlich sieht, beginnt eine Freundschaft zweier kaputter Menschen.

© Third Window Films

Wie ist's?

Der Umriss der Geschichte mag nicht gerade freundlich klingen und vor allem der Anfang des Films ist es auch nicht. Bevor der Film beginnt, gibt es eine kurze Warnung, es gäbe im Film moralisch unangemessene Szenen. Doch diese wurden dringelassen, um die ursprüngliche Vision von Somai zu bewahren. Love Hotel ist relativ explizit, auch wenn wie oben erwähnt keine Geschlechtsteile zu sehen sind. Diese sind mit einer Art Weichzeichner zensiert. Doch trotz der langen und teils unangenehmen Sexszenen stehen klar die Figuren von Tetsuro und Nami im Zentrum. Deren Beziehung ist auf eine Seite unkonventionell und beinahe fragwürdig, doch auf die andere Seite fast schön, denn die zwei Menschen haben kaputtes Zeug erlebt und finden in diesem gemeinsamen Schmerz einen gewissen Trost.

© Third Window Films

Das titelgebende Love Hotel kommt nicht allzu oft vor, doch die zentrale Szene spielt sich dort ab. Love Hotels sind Stundenhotels in Japan, wo sich Paare für Sex treffen, da dort maximale Diskretion gilt. Dies kann von einem klassischen japanischen Haus mit Shoji-Türen aus Papier und dünnen Wänden nicht behauptet werden. Der Vibe dieser Hotels und der Gegenden, in denen sie zu finden sind, dominieren den den visuellen Stil des Film jedoch. Schmutzig, kaputt und bunt sind die langen Takes, ein Markenzeichen von Somai, wunderschön gefilmt auf 35-Millimeter-Film, wie es bei «Pink Films» üblich war. Unterstützt wird diese Stimmung vom tollen Soundtrack. Love Hotel mag wegen seinen expliziten Szenen nicht gerade zugänglich sein, doch darunter verbirgt sich eine melancholische, tragische Geschichte um zwei melancholische, tragische Figuren.

4.5 von 6 Sternen

Blu-ray-Features von Love Hotel

- Audiokommentar von Jasper Sharp, Kritiker und Spezialist im japanischen Kino
- «Shinji Somai at the Director's Company» ein Video-Essay von Josh Slater-Williams
- Interview mit Minori Terada (Tetsuro) und Regieassistent Koji Enokido aus dem Archiv
- Originaler Trailer
- Slipcase aus Papier mit hochwertigen Druck und alternativem Cover, designt von Gokaiju
- Japanische Originaltonspur und englische Untertitel
- Region-free

Love Hotel ist seit dem 22. Juli 2024 auf Blu-ray erhältlich. Mehr Infos gibts auf thirdwindowfilms.com.

Nicolas Nater [nna]

Nicolas schreibt seit 2013 für OutNow. Er moderiert seit 2017 zusammen mit Marco Albini den OutCast. Ausser für Geisterbahn-Horrorfilme, überlange Dramen und Souls-Games ist er filmisch wie spielerisch für ziemlich alles zu haben. Ihm wird aber regelmässig vorgeworfen, er hätte nichts gesehen.

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