Das Cannes-Tagebuch von OutNow - Tag 5: Entscheidungen
Essen oder WC? Schlafen oder einen Film mehr schauen? Mit solch grundlegenden Fragen ist man konfrontiert, wenn man sich im Festivalstress befindet, wie Yannick im heutigen Tagebucheintrag berichtet.

Wie im «normalen Leben» müssen wir auch hier in Cannes täglich, nein, vielmehr stündlich, neue und wesentliche Entscheidungen treffen. Gewisse Beschlüsse werden uns dabei vom - wie durch meinen Kollegen Simon in diesem Artikel treffend beschriebenen - «trümmligen» Ticketing-System abgenommen. Dann nämlich, wenn wir einmal mehr auf dem Trockenen sitzen bleiben, für unser Wunschscreening kein Ticket erhalten haben oder vergebens zwei Stunden im Regen in der Last-Minute-Line stehen; der Warteschlange für alle Wagemutigen, die versuchen, ohne ein Ticket einen der begehrten Plätze in einem Screening zu erhaschen.
Die meisten Entscheidungen müssen wir jedoch ganz alleine fällen: Riskiere ich es, eine Vorstellung in der kleineren, aber gemütlicheren Bazin (einem der fünf Kinosäle im Palais) zu buchen, oder gehe ich auf Nummer sicher und hole mein Ticket für die enge, dafür grössere Debussy? Wenn ich ein gewünschtes Ticket nicht erhalte, buche ich stattdessen einen anderen Film oder spekuliere ich darauf, dass noch Tickets im System freigegeben werden könnten?
Mehrmals täglich haben wir die Qual der Wahl, dürfen uns durch x mögliche, realistischere und utopischere, Szenarien durchdenken, um das Optimum aus einem Festivaltag herauszuholen. Schreibe ich meine Review sofort nach dem Film oder gehe ich in eine nächste Vorstellung?
Doch wichtige Entscheidungen stehen auch an weitaus banaleren Eckpunkten des Festivalalltages an: Die letzten Vorstellungen starten spät, die Nächte sind kurz, am Folgemorgen müssen die nächsten Tickets jedoch zwingend um 07:00 Uhr (auf die Sekunden kommt es an!) gebucht werden, will man nicht mit leeren Händen dastehen. Danach die alles entscheidende Frage: Nach 5.5 Stunden Schlaf und anschliessendem Ticketstress aufstehen und ins erste Screening um 08:30 Uhr gehen oder doch lieber nochmals zurück ins Bett?
Und wenn dann ein Festivaltag in vollem Gange ist und zwischen den Filmen nur 30 Minuten Zeit bleibt, von denen 15 als Einlasszeit verloren geht, bei der wir in der Schlange stehen müssen, kommt es zur nächsten, existenziellen Frage: Essen, und falls ja: Wo geht es am schnellsten? Oder doch lieber auf die Toilette gehen? Wenn dann um 14:00 ein 3.5-stündiges türkisches Drama ansteht und man seit 08.30 im Kino sitzt, fällt es äusserst schwer, sich hier für eine der beiden Möglichkeiten zu entscheiden. Dann muss die Blase es eben nochmals aushalten. Und doch gehören ebenjene Entschlüsse zu unserem Festivalalltag und gestalten unsere Tage äusserst abwechslungsreich und spannend.
Und gewisse Entscheidungen fällen wir dann ganz bewusst anders: So waren mein Kollege Gianluca und ich am Donnerstagabend im Irish-Pub und haben uns mit Bier und Burger die Europa-League- beziehungsweise Conference-League-Halbfinals von unseren Herzensclubs angeschaut: Juve bei Gianluca und Basel bei mir. Obschon keines der Spiele ein glückliches Ende nahm, ist dies definitiv eine Entscheidung, die ich nicht bereue!