Das Cannes-Tagebuch von OutNow - Tag 4: Kurzschlussreaktionen

Meinungen sind schnell gemacht. Dank Social Media wie Letterboxd werden Kritiken in Windeseile weltweit verbreitet. Auch während Cannes posten Wichtigmacher Plattes und Glattes.

Die Poster der Cannes-Wettbwerbsfilme auf der Website von letterboxd.com © OutNow/rm

Meinungen gibt's an Filmfestivals meistens gratis und in rauen Mengen. Kaum wird der Abspann projiziert, murmeln Teile der Menschenmenge auf dem Weg zum Ausgang schon von Meisterwerk oder Totalflop. Es wird Fazit gezogen, obwohl ein Film noch nicht nachwirken konnte. Thesen werden erörtert, wo vielleicht nur unterhalten werden wollte. Immer öfter stehen Wegelagerer mit Mikrofonen bewaffnet vor den Kinotüren und nehmen kritische Quotes dankbar auf für die Daheimgebliebenen. Wer schnell und steil formuliert, ist da im Vorteil. Warum sinnieren, wenn man twittern kann?

In Cannes - dieser Weltbühne des Filmbusiness - ist der Geltungsdrang der Opinion leaders natürlich besonders akut. Und mit der Cinephilen-App Letterboxd gesellt sich eine neue Waffe für Schnellschüsse zum Arsenal. Das soziale Network mit Sitz in Neuseeland läuft der Internet Movie Database mittlerweile den Rang ab als allumfassende Infoquelle für Filmtitel aller Art. Es findet sich das obskurste Machwerk, und Liebhaberinnenlisten lassen sich bequem kuratieren. Und ja, auch mit Letterboxd kann man höchstpersönlich seinen Senf dazugeben.

Kurz nach den Weltpremieren der Filme hier in Cannes werden deshalb in der App nicht nur fleissig Sternchen verteilt, sondern auch geschwind gepostet. Eine besonders ehrliche Userin schreibt: «I am writing this as I walk out of the theater…» Und so schwankt die Spannbreite von «WOW. That was amazing OMG» bis zu halbwegs elaborierten Stellungnahmen auf Französisch, Spanisch oder Englisch. Man kritisiert die Kinobesucher, die den Saal unverschämterweise zu früh verliessen, prahlt freudig mit der Anwesenheit von Stars und Filmcrew im Saal, oder mutiert zum Spassvogel wie der User, der sich bei Kore-edas Monster darüber beschwert, dass in einem japanischen Film mit diesem Titel Godzilla nicht einmal zu sehen war. Auch im interaktiven Raum gilt: Jeder hat das Recht auf seine Meinung.

Roland Meier [rm]

Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.

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