«Ein intellektuelles Maschinengewehr»: Michael Steiner erinnert sich an Michael Sauter

Im September ist der Drehbuchautor Michael Sauter (u.a. «Mein Name ist Eugen», «Grounding») gestorben. Wir sprachen mit seinem Kreativpartner Michael Steiner über ein Leben voller Liebe für den Film.

Michael Steiner und Michael Sauter auf Recherchereise in Mindanao © Michael Steiner

Wer auch nur eines der Zitate oben erkannt hat, erlebte das Schweizer Filmwunder Anfang des neuen Jahrtausends mit, bei dem Grossproduktionen wie Achtung, fertig, Charlie!, Mein Name ist Eugen und Grounding die Kinosäle füllten. Alle diese Filme haben etwas gemeinsam: Überall hatte Drehbuchautor Michael Sauter seine Finger an der Tastatur.

Am 15. September 2022 ist Michael Sauter gestorben. Wer war der Mensch hinter all diesen Filmhits? Um dies herauszufinden, sprachen wir mit seinem langjährigen Kreativpartner Michael Steiner.

Michael Sauter und Michael Steiner beim OutNow-Interview zu «Mein Name ist Eugen»
Michael Sauter und Michael Steiner beim OutNow-Interview zu «Mein Name ist Eugen» © OutNow

Unser Name ist Michael

Kennengelernt haben sich Steiner und Sauter bei der Arbeit zu Mein Name ist Eugen. Das Drehbuch zum Lausbubenfilm verfasste Sauter mit Steiner und Christoph Frey. Das geschah im gleichen Jahr, in dem Sauter mit seinem Kollegen David Keller die Skripte zu den Durchbruchsprojekten Strähl und Achtung, fertig, Charlie! verfasste. Steiner erinnert sich noch gut an die Zeit und die augenzwinkernden Meinungsverschiedenheiten. «Für ihn war Eugen ein ganz klar marxistischer Film, für mich eher ein anarchistischer. Mit unseren Ansichten haben wir uns jeweils gegenseitig gezäukelt.»

Argumentiert hat der grosse Film-Fan Sauter dabei unter anderem mit Starship Troopers - wohl nicht gerade der naheliegendste Vergleichsfilm, wenn man an Eugen, Wrigley, Bäschteli und Eduard denkt. So brachte er laut Steiner eines Tages das Making-of zum subversiven Sci-Fi-Kracher von 1997 mit und liess Paul Verhoeven erklären, wie dieser seine marxistischen Ideen im Film unterbrachte. So war es auch Sauter ein grosses Anliegen, jeweils bei seinen Drehbüchern immer auch eine Botschaft zu transportieren.

Neben Verhoeven hatte Sauter viele weitere Regisseure, die er bewunderte, darunter George Miller (Mad Max), Sam Peckinpah (The Wild Bunch) und George Roy Hill. Wie die Buben in einer Szene in die Limmat springen und Eugen dabei kurz davor seinen Freunden offenbart, dass er nicht schwimmen kann, ist 1:1 aus Hills Butch Cassidy and the Sundance Kid übernommen.

«Er war einer der grössten Experten, was Filmwissen angeht - besonders im Horrorgenre. Eine Obsession von ihm war die Liste mit den damals in der Schweiz verbotenen Filmen. Er hängte die Liste eines Tages ans Nagelbrett und markierte vier Filme, die noch nicht in seinem Besitz waren. Er liess alle wissen, dass, falls jemand diese Filme Zuhause hätte, man diese doch bitte mitbringen soll.» (lacht)

Der Schweizer Quentin Tarantino?

Die Filmliebe und Zitierfreudigkeit erinnern ein wenig an Quentin Tarantino. Ein Vergleich, den Steiner aber nicht ganz zutreffend findet. «Ich würde sagen, dass Sauters Arbeiten näher bei Richard Schweizer (Gilberte de Courgenay, Palace Hotel) sind. Mit seinem grossen Filmwissen, seiner genauen Beobachtungsgabe und Charakterzeichnung sowie guter Intuition und dem Verständnis für Dramaturgie entstanden immer tolle Drehbücher, in denen auch die Mechanismen einer guten Wendung wunderbar funktionierten.»

Eine lustige Geschichte, an die sich Steiner erinnert, bringt uns nun jedoch wieder zurück zu Tarantino. So hatte Sauter bei der Pressevorführung von Mein Name ist Eugen eine Meinungsverschiedenheit mit dem Tages-Anzeiger-Kritiker Thomas Bodmer. Der Drehbuchautor sah jedoch keine Notwenigkeit für ein langes Gespräch. Denn Sauter erinnerte sich noch, wie Bodmer Reservoir Dogs zuerst nicht mochte und dann vier Wochen nach dem Release die Kritik revidieren musste. Es lohne sich deshalb nicht zu diskutieren, da Bodmer die Postmoderne nicht habe kommen sehen.

Eine nicht einfache Situation für Steiner, der Eugen mit viel Geld mitproduziert hatte und so ein Stück weit auf mediale Unterstützung angewiesen war. «Und dann verärgert der Sauter einfach einen Journalisten. Das darf doch nicht wahr sein!» (lacht)

Michael Sauter beim OutNow-Interview zu «Grounding»
Michael Sauter beim OutNow-Interview zu «Grounding» © OutNow

Intellektuelles Maschinengewehr

Zu Gute kam Sauter bei hitzigen Diskussionen jeweils seine Ausbildung: «Er studierte Religionswissenschaften und Germanistik und war wahnsinnig belesen und hatte ein grosses literarisches und musikalisches Wissen - auch was die Popkultur betrifft. Mit Sauter wollte man wirklich nicht aneinandergeraten. Er war ein intellektuelles Maschinengewehr und er konnte dich bei Diskussionen mit coolen Quervergleichen ganz schnell filetieren. Er war aber auch wahnsinnig witzig und hatte einen unglaublich feinen Humor.»

Es folgten weitere gemeinsame Projekte wie Grounding - Die letzten Tage des Swissair, bei dem Steiner den politischen Teil schrieb, Sauter für das Dramatische zuständig war und sie zusammen die Dialoge verfassten. Sennentuntschi und Das Missen Massaker folgten. Es war nach Abschluss des letztgenannten Filmes, als sich Sauters Gesundheitszustand verschlechterte, was weitere Projekte schwierig machte.

Michael Sauter und Michael Steiner auf einer Recherchereise in Mindanao für einen nicht gedrehten Film über den Hoax der Tasaday, einen gefakten Steinzeitstamm.
Michael Sauter und Michael Steiner auf einer Recherchereise in Mindanao für einen nicht gedrehten Film über den Hoax der Tasaday, einen gefakten Steinzeitstamm. © Michael Steiner

Danke

Michael Sauter hat mit seinen Drehbüchern grossen Anteil daran, dass der Schweizer Film in den Nullerjahren einen grossen Sprung nach vorne gemacht hat. Mit Strähl, Charlie und Sennentuntschi hat er dem etwas brav wirkenden Schweizer Film einen Tritt in den Arsch gegeben. Er war einer der talentiertesten Drehbuchautoren, die die Schweiz je hatte. Die Szenen und Sätze, die er dabei rausgehauen hat, werden in den Köpfen von vielen Film-Fans bleiben - wie dies auch seine grossen Vorbilder bei ihm geschafft haben. So wird seine grosse Filmliebe noch über viele Generationen weitergetragen.

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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