Worum geht es bei der Lex Netflix? Die Ausgangslage

Am 15. Mai 2022 wird in der Schweiz über die Änderung des Filmgesetzes abgestimmt. Die Vorlage trägt den Spitznamen «Lex Netflix». Doch es geht nicht nur um Netflix. Wir fassen zusammen.

Foto vom Abstimmungsbüchlein © OutNow/crs

In den letzten Wochen ist besonders auf Twitter und auch in unterschiedlichen Newsforen ein lautstarker Streit um das sogenannte «Lex Netflix» entbrannt. Die Befürworter und Gegner geben sich verbal Saures und werfen sich Anschuldigen an den Kopf. Da es bei diesem Gesetz um etwas geht, das uns bestens vertraut scheint («Hey, Netflix, das känni und hani!»), haben auch viele, die sonst mit Politik und Abstimmungen weniger am Hut haben, auch ihre Meinung dazu.

Das ist unter demokratischen Gesichtspunkten äusserst wünschenswert und es dürfte so auch niemanden überraschen, wenn die Stimmbeteiligung beim «Lex Netflix» deutlich höher sein wird, als bei der Änderung des Transplantationsgesetzes oder der Übernahme der EU-Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache, über welche wir ebenfalls am 15. Mai 2022 abstimmen.

In einer kleinen Artikelreihe zum «Lex Netflix» wollen wir euch die Werkzeuge für tiefer gehende Diskussionen mitgeben. Denn die Situation ist nicht trivial. Wir beleuchten Pro und Contra, erklären die Sache mit den 4 Prozent und 30 Prozent, erläutern den Aspekt mit der Europakarte im Abstimmungsbüchlein und was genau eine Annahme des Gesetzes bedeuten könnte. Zuerst müssen wir aber die Ausgangslage erklären.

Status Quo

«Here we go, rockin' all over the world!» Nein, hier geht es jetzt (leider) nicht um die britische Band, doch auf den Ohrwurm wollten wir trotzdem nicht verzichten. Die Welt rockt das Thema zwar nicht, dafür aber das aktuelle Filmgesetz, denn wir stimmen am 15. Mai 2022 nicht etwa über ein neues Gesetz ab, sondern entscheiden darüber, ob es angepasst werden soll oder nicht.

Das heutige Filmgesetz besagt, dass inländische Fernsehsender verpflichtet sind, 4 Prozent ihres Umsatzes in das Schweizer Filmschaffen zu investieren. Vor 15 Jahren waren mit inländischen Fernsehsendern die Kanäle der SRG SSR gemeint, das heisst die heutigen Deutschschweizer Sender SRF 1, SRF zwei, die Westschweizer RTS un, RTS deux und die Tessiner RSI 1 und RSI 2. Für lange Zeit gab es auch (fast) nur diese Schweizer Sender.

Es wäre nicht die erste Gesetzesänderung

2007 wurde das Filmgesetz schon einmal angepasst. Denn im August 2006 ging der private Schweizer Fernsehsender 3+ an den Start, der seither ebenfalls hierzulande Umsätze generiert - vor allem mit dem Verkauf von Werbung. Auch 3+ und alle anderen Privatsender wie 4+, 5+, 6+, TV24 und TV25, die alle zur CH-Media-Gruppe gehören, müssen seit 2007 in den Schweizer Film investieren. Aber was bedeutet das genau?

Was ist mit der Investitionspflicht überhaupt gemeint?

Die Schweizer Sender (SRF, 3+ und Co.) können selbst bestimmen, wie sie das Geld investieren möchten. Sie können das Geld entweder bei einer Filmförderinstitution einzahlen oder sie produzieren Schweizer Filme und Serien mit.

Wenn ein TV-Sender entscheidet, einen Film zu unterstützen, dann schaut im Idealfall am Ende ein netter Gewinn heraus. Denn das eingespielte Geld geht zum grossen Teil nicht etwa an SchauspielerInnen oder RegisseurInnen, sondern an jene Personen, die in einen Film investiert haben. Es funktioniert also ähnlich, wie wenn ihr an der Börse Aktien kaufen würdet. Macht die Aktiengesellschaft Gewinn, habt ihr auch was davon. Wer übrigens bei Schweizer Filmpostern etwas genauer hinschaut, kann ganz unten sehen, welche Sender einen Schweizer Film unterstützt haben. Bei Platzspitzbaby beispielsweise waren SRF und Teleclub mit an Bord, bei Zwingli ebenfalls SRF und Teleclub sowie 3+, TV24 und S1.

Ausschnitt aus dem Poster von «Platzspitzbaby»
Ausschnitt aus dem Poster von «Platzspitzbaby» © Ascot Elite
Ausschnitt aus dem Poster von «Zwingli»
Ausschnitt aus dem Poster von «Zwingli» © Ascot Elite

Eine ganz neue Situation

Hand aufs Herz: Wer von euch hat in letzter Zeit lineares Fernsehen geschaut? Die heutigen Konsumentinnen und Konsumenten schalten heute höchst selten noch um 20:15 Uhr den Fernseher ein, um einen bestimmen Film oder eine Serie zu sehen. Ausnahmen bilden eigentlich nur noch Sportübertragungen - und der Bachelor.

Bei Filmen und Serien ist es jedoch so, dass diese meistens auf Streamingdiensten wie Netflix, Disney+, Apple TV+, Sky und Co konsumiert werden, wo man selber bestimmen kann, wann es zeitlich mit der Unterhaltung losgeht. Als das Filmgesetz im Jahre 2007 für die Privatsender angepasst wurde, begann zum Beispiel Netflix erst mit dem Streamingbusiness. Dieses boomt nun schon seit mehr als 15 Jahren, wobei die Streamingdienste noch nicht vom Filmgesetz abgedeckt sind - wie auch, wenn es 2007 noch kaum welche gegeben hat.

Mit der Änderung des Filmgesetzes möchten der Bundesrat und das Parlament Streamingdienste inkludieren. Es sollen die gleichen Rechte und Pflichten für alle gelten, die mit dem Ausstrahlen von Filmen und Serien in der Schweiz Umsätze generieren. Stand jetzt machen Netflix, Disney (Disney+) und Amazon (Prime Video) in der Schweiz ganz viel Geld mit ihrem Abo-Modell, welches dann fast komplett ins Ausland abwandert. Fast komplett, denn Netflix hat in der Vergangenheit die eine oder andere Schweizer Produktion in seinen Katalog aufgenommen. Momentan findet man Der Bestatter, Wolkenbruch und Giulias Verschwinden auf Netflix. Die Firma überweist dafür Geld an die Rechteinhaber dieser Produktionen. Netflix investiert auf diese Weise also schon minim in das Schweizer Film- und Serienschaffen.

«Wolkenbruch»
«Wolkenbruch» © DCM

Auch Schweizer Werbefenster betroffen

Doch nicht nur Streamingdienste sollen zukünftig mehr investieren, sondern auch ausländische Privatsender, welche hierzulande Schweizer Werbefenster ausstrahlen. Zu Beginn von vielen Werbeblöcken auf RTL und PRO7 steht, dass nun ein Schweizer Werbefenster folgt. Gezeigt wird dann nur Werbung, die für die Schweiz relevant ist. (Es bringt uns hierzulande nichts, einen deutschen Werbeblock zu sehen, in dem ein Trailer zu einem Film läuft, der in der Schweiz gar nicht ins Kino kommt.) Diese deutschen Privatsender verdienen mit diesen Werbefenstern in der Schweiz Geld, welches dann zu grossen Teilen nach Deutschland abgezügelt wird. Die Änderung des Filmgesetzes sieht vor, dass 4 Prozent des Schweizer-Werbefenster-Umsatzes ebenfalls hier investiert werden soll.

Zusammenfassung

Es geht also bei der Änderung des Filmgesetzes darum, das Gesetz auf die heutige Zeit anzupassen, in der wir nicht mehr alle um 20:15 Uhr den Fernseher einschalten, sondern immer mehr streamen. Das Filmgesetz soll auf die neue Situation angepasst werden, damit in der Schweiz generierte Umsätze in Zukunft nicht mehr komplett ins Ausland abwandern, sondern 4 Prozent davon dem Schweizer Film- und Serienschaffen zugutekommen.

Dies ist die Ausgangslage. In den kommenden Tagen beleuchten wir in weiteren Artikeln, wie die Befürworter und Gegner argumentieren und vor allem, was eine Annahme oder Ablehnung genau für das Schweizer Volk bedeuten würde.

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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