«Stille Post»: Das Interview mit Regisseur Florian Hoffmann
Im Vorfeld zu den Solothurner Filmtagen konnte unsere Teresa Vena mit dem Macher des Dramas reden, in dem ein Grundschullehrer Kriegsbilder aus seiner kurdischen Heimatstadt zugespielt bekommt.

Nach seiner Premiere am Filmfestival in Thessaloniki, wo das Drama den Publikumspreis gewann, und einer Vorstellung an den Black Nights in Tallinn, geht es mit der Festivalkarriere von Stille Post des schweizerisch-deutschen Regisseurs Florian Hoffmann fast zeitgleich beim Max-Ophüls-Preis und bei den Solothurner Filmtagen weiter.
Hoffmann setzt sich in dem Film mit der Realität der Kurden auseinander, indem er sich auf die Eskalation der militärischen Auseinandersetzungen von 2015 bezieht, aber Fäden spinnt, die bis in die Gegenwart reichen. Darüber hinaus präsentiert er ein allgemeingültiges Werk über Themen wie Heimat und Identität, aber auch über die Verantwortung der Medien im politischen Diskurs und die unwiderrufliche zerstörerische Kraft von Krieg.
Wieso war es Ihnen wichtig, diese Geschichte zu erzählen?
Ich bin in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen, was damals ein mehrheitlich türkisch-kurdisch geprägter Bezirk war. Die Klassenraum-Szenen in Stille Post, in denen der türkisch-kurdische Konflikt im Schulalltag zwischen den Kindern verhandelt wird, sind beispielsweise Momente, die ich von meiner eigenen Kindheit her kenne.
Als 2015 in Cizre die Situation eskalierte und eine Ausgangssperre über die Stadt verhängt wurde, habe ich direkt mitverfolgt, wie dieses Ereignis meine türkischen und kurdischen Freunde über Nacht entzweite. Da das türkische Militär aktiv verhinderte, dass direkte Informationen aus Cizre zugänglich waren, kursierten in der Diaspora allerlei Gerüchte und Fake-News. Es liess sich beobachten wie dieser Krieg, der eigentlich in der Ferne stattfand, bis in die hiesige Diaspora wirkte, Beziehungen zerrüttete und Menschen (re)traumatisierte.

Wie und wie lange haben Sie für den Film recherchiert?
Ich habe mich entschlossen, gemeinsam mit einer Gruppe von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten selbst nach Cizre zu reisen. Nach Tagen des Wartens wurde die Ausgangssperre kurzzeitig aufgehoben und wir sind für ein paar Stunden in die Stadt gelangt. Die Bürger Cizres haben uns Videos anvertraut, die sie mit ihren Handys heimlich gefilmt hatten. Videos, die die gezielten Angriffe auf die Zivilbevölkerung beweisen - ein Umstand, den die türkische Regierung bis heute dementiert.
Als ich zurück nach Deutschland kam, war ich irritiert, wie gering das Interesse der Medienanstalten für dieses Material, ja den Konflikt generell war. Ich begann eine zweite Recherche in verschiedenen europäischen Medienhäusern. Ich wollte herausfinden, wonach entschieden wird, über welche Kriege berichtet wird und welche einfach vergessen. Oder anders: Was müssen Kriegsbilder heutzutage leisten, damit sie unsere Empathie wecken?
Wie war Ihre eigene Erfahrung mit den Medien? Welche Rolle messen Sie ihnen bei?
Es wäre zu einfach, die Schuld allein bei den Medienanstalten zu suchen. Da die meisten von uns zum Glück keine eigene Kriegserfahrung haben, ist unsere Vorstellung von Krieg mehrheitlich durch Hollywoodfilme und die Nachrichtenberichterstattung geprägt. Es ist ein Dilemma. Die Nachrichtenmacher versuchen unsere Aufmerksamkeit, unsere Empathie für bestimmte Kriege zu gewinnen, zugleich sind unsere Erwartungen an ein Kriegsbild aber fern der Realität.
Dies führt dazu, dass die Videoaktivisten angehalten werden, immer brutalere, immer «authentischere» Bilder zu produzieren - einzig um uns zu erreichen. Eine Perversion dieser Dynamik sind die Facebook-Livestreams aus Kriegszonen. Ich erinnere mich an den ersten Livestream, der damals aus Aleppo, Syrien, geschaltet wurde. Während sich ein Videoaktivist vor meinen Augen in Gefahr gebracht hat, war das einzige, was ich auf der anderen Seite tun konnte, Emoticons über den Bildschirm zu schicken.

Wie sind sie bei der Entwicklung der Figur von Khalil vorgegangen? Wie fand die Besetzung statt?
Hadi Khanjanpour, der die Hauptrolle spielt, ist nicht Kurde, sondern ursprünglich Iraner. Im Castingprozess waren natürlich auch kurdische Schauspieler einbezogen. Doch letztlich hatte Hadi die meisten Anknüpfungspunkte mit unserer Figur Khalil. Auch Hadi war als Junge nach Deutschland geflüchtet und hatte sich von seiner Heimat abgewandt - bis ihn die Bilder von den Protesten der Grünen Bewegung im Iran erreichten. Diese Bilder aus der Heimat, dieser Konflikt in der Ferne brachte bei ihm Erinnerungen und Emotionen an die Oberfläche, die sein geordnetes Leben in Deutschland schlagartig veränderten. Unter anderem aufgrund dieser Erfahrung war Hadi für mich ein wichtiger Partner im Entstehungsprozess dieses Films. Er konnte, im Gegensatz zu mir, nochmal anders emotional in die Figur Khalil eintauchen und sie mit seinen persönlichen Erfahrungen ausfüllen.
Was war bei der Besetzung der anderen Rollen wichtig?
Für unsere türkischen und kurdischen Schauspieler war die Entscheidung an Stille Post mitzuwirken auch ein politisches Signal. Schon in der Vorbereitung für diesen Film war allen Schauspielerinnen und Schauspielern klar, dass sie nach Veröffentlichung dieses Films in ihrer türkischen Heimat Repressalien erwarten müssen. Aus dem selben Grund haben wir die Namen vieler türkischer und kurdischer Unterstützer, die an diesem Film massgeblich beteiligt waren, im Abspann geschwärzt.
Stille Post läuft an den Solothurner Filmtagen am 20. Januar um 17:00 in der Reithalle und am 23. Januar um 21:00 im Landhaus.