"Der Unschuldige": Das Interview mit Regisseur Simon Jaquemet
Mit seinem Drama "Chrieg" hat der Regisseur für viel Aufsehen gesorgt. Nun ist er mit seinem Nachfolgewerk zurück. Wir sprachen mit dem Basler über "What the fuck?!", Freikirchen und Inspirationen.

Der Unschuldige ist nicht der übliche Schweizer Film. In seinem Psychodrama schickt der 40-jährige Basler Simon Jaquemet die von Judith Hofmann gespielte Protagonistin auf einen Trip, bei dem nicht wirklich klar ist, was Realität und was Traum ist. Ein echter Mindfuck, der wie schon sein Langfilmdebüt Chrieg noch länger im Gedächtnis bleiben wird.
Anlässlich des Kinostarts des Filmes trafen wir Regisseur Jaquemet zum Interview.
Unsere erste Reaktion beim Abspann war ein «What the fuck?!» im positiven Sinne. War das eine Reaktion, die du provozieren wolltest?
Ein Stück weit schon: Der Film ist ja auch gemacht für das. Aber manchmal bin ich etwas überrascht, wie extrem die Leute verwirrt sind. Es kommt natürlich draufan, was für ein Typ Mensch den Film schaut. Ich selber finde solche Filme super. Je mehr ich darüber nachdenken muss und umso geheimnisvoller es ist, desto mehr gefällt es mir.
Du hast hier dein eigenes Skript verfilmt. Wie schreibt man denn einen solchen «WTF-Film»?
Angefangen hat alles mit einem TV-Bericht über eine junge Frau, deren Verlobter zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt wurde - wobei sie immer sagten, dass er unschuldig sei. Später erschien mir diese Frau in einem Traum, den ich für den Film übrigens 1:1 übernommen habe. Ich sah diese Frau während eines religiösen Seminars zusammenbrechen. Irgendwann entschied ich mich dazu, etwas mit einer Figur zu machen, der diese beiden Sachen passieren. Beim Schreiben bin ich dann recht intuitiv mit dieser Figur mitgegangen. Ich habe versucht, mich auch selbst zu überraschen, indem ich in einem ersten Moment nicht zu sehr über die Dinge nachdachte, die ich schrieb. Es ist also nicht so, dass mein Ziel von Anfang an war, einen WTF-Film zu schreiben. Am Ende habe dann einfach sehr darauf geachtet, dass es keine klaren Beweise gibt und das Ganze mehrdeutig bleibt.

Solche Mindfuck-Filme hat man bisher eher weniger aus der Schweiz gesehen. War es schwierig das Budget für diesen eher speziellen Film zusammenzubekommen?
Es war nicht so schwierig. Es war aber auch nicht das Riesen-Budget. Dank dem Erfolg von Chrieg hatte ich jedoch Wohlwollen bei der Förderstelle. Was aber enorm geholfen hat, war, dass wir mit dem Projekt zuerst ins Ausland gingen, an den CineMart in Rotterdam, und dort Koproduzenten fanden und das Interesse von ARD/ZDF wecken konnten. Mit solch einem Rückenwind dann zu den hiesigen Förderstellen zu gehen, war toll.
Wie haben deine Vorbereitungen auf den Film ausgesehen?
Ganz am Anfang habe ich mit Aussteigern aus Freikirchen und Sekten geredet. Danach bin ich fast für ein Jahr zu Gottesdiensten gegangen und habe versucht, dort mitzumachen und ein Gespür dafür zu bekommen. Weiter habe ich mit Priestern geredet, was auch sehr spannend war. Was ich in der Recherche erlebt habe, war deutlich vielschichtiger als das, was man im Film sieht. Im Film ist es natürlich eine dramaturgische Zuspitzung. Die Realität ist jedoch viel komplizierter. Es gibt Freikirchen, die sehr liberal sind und wieder andere, wo Prediger auftreten, die Hetzerei betreiben. Der Film hat aber nicht den Anspruch, das Porträt der Schweizer Freikirchenlandschaft zu sein. Da müsste man einen Dokfilm machen.
Gab es gross Widerstand bei der Recherchen?
Wir haben gar nicht so direkt jeweils angefragt. Einem, der ans Casting kam und auch selbst predigt, habe ich das Drehbuch gegeben und er hat sehr heftig darauf reagiert. Er gab dann aber auch gutes Feedback. Weiter haben wir versucht, eine Konzertszene beim ICF (International Christian Fellowship) zu drehen, was jedoch sofort abgelehnt wurde. Gedreht haben wir die Szene schlussendlich im Zürcher Club X-TRA. Auch ging ich als «Journalist» an die grosse ICF-Konferenz im Hallenstadion. Aber dort war absolut strengstes Filmverbot und haben dort auch niemanden zum Reden gebracht. (lacht)

Was waren die filmischen Inspirationen zu Der Unschuldige?
Eigentlich alle Filme, die ich gut finde. Filme von Ulrich Seidl, Michael Haneke, Lars von Trier, Joachim Trier oder Carlos Reygadas. Das sind Filmemacher, die mich schwer beeindruckt haben. Natürlich fliesst dann einiges von ihnen in die Dinge ein, die ich mache.
Wieso sollte es deiner Meinung nach Schweizer Filme wie Der Unschuldige geben?
Es sind Arthouse- und Autorenfilme, die nicht unbedingt für das grosse inländische Publikum ausgelegt sind. Dafür aber international eine Ausstrahlung haben und im Ausland dann was von der Schweiz erzählen können. Es sind Filme, die dann dort recht viele Zuschauer haben - alleine an Festivals. Zudem sind diese Filme spannender zu machen, da man bei der Erzählung freier arbeiten kann. Man muss nicht ständig darauf schauen, dass man die Million Zuschauer in der Schweiz erreicht.
Du durftest deinen Film am Toronto-Filmfestival im Wettbewerb zeigen. Wie war das?
Das war ein Super-Moment, als wir erfuhren, dass wir dort reinkommen. Zum einen ist es ein wichtiger Stempel für den Film, und zum anderen hatte es in der Platform-Sektion noch Regisseure wie Markus Schleinzer und Tim Sutton, von denen ich ein grosser Fan bin. Dass du dann bei denen dabei bist, das war wirklich super. Das ganze Erlebnis war recht trippy.

Was war so der letzten Film, nachdem du mit einem «Wow» aus dem Kino gekommen bist?
Son of Saul und der One-Take-Film Victoria haben mich sehr beeindruckt. Aber das ist schon eine Weile her. Das hat damit zu tun, dass, wenn ich einen Film mache, ich keine anderen ansehen kann. Denn sonst würde ich die Filme ganz anders schauen, würde Fehler entdecken und mich fragen, wie sie gewisse Dinge gemacht haben. So kann ich die Filme nur schwer geniessen.
Was steht als nächstes an?
Ich habe schon mit einer neuen Geschichte angefangen, an der ich dann Ende Jahr weiterarbeiten werde. Es geht ein bisschen in die Richtung von Science-Fiction und spielt im Computerwissenschaftsumfeld. Als Jugendlicher war ich ein Nerd und deshalb wollte ich schon immer mal etwas mit Computern machen.
Was würdest du den Zuschauern sagen, bevor sie sich Der Unschuldige ansehen?
Man soll sich einfach fallen lassen und sollte nicht zu sehr nachdenken. Man soll sich einfach vom Film einsaugen lassen.
Der Unschuldige läuft ab dem 31. Oktober 2018 in den Kinos.