NIFFF 2007: Interview mit Olivier Müller
Olivier Müller ist der Präsident des NIFFF. Zusammen mit anderen Filmfans konzipierte er 1998 den einzigartigen Schweizer Filmanlass, der seit 2005 auch von Bundesamt für Kultur unterstützt wird.
Vor der siebten Ausgabe des Filmfests vom 3. bis zum 8. Juli 2007 sprach OutNow.CH mit dem Neuenburger über die Ursprünge des Festivals, seine Ansichten zum fantastischen Film und warum man auch aus der deutschen Schweiz an den Neuenburgersee reisen sollte, um sich Filme anzuschauen.
OutNow.CH (ON): Oliver Müller, woher kommt deine Leidenschaft für den fantastischen Film?
Olivier Müller (OM): Mit vierzehn bin ich mit Frédéric Maire, dem heutigen künstlerischen Leiter des Filmfests in Locarno, ans Festival international du film fantastique im französischen Avoriaz gefahren. Das war während der Hochkonjunktur des Genres zu Beginn der 80er Jahre. Damals sah ich die Europapremiere von The Terminator. Als ich zehn Jahre später mit meinen Freunden das Festival von Neuchâtel gründete, war für mich klar, dass wir dieses Festivalgefühl auch auf die Schweiz übertragen wollten.
ON: Worin zeichnet sich dieses Festivalgefühl aus?
OM: In Locarno hat es ein paar Stars. In Cannes hat es viele Stars. Aber wenn man nicht gerade Journalist bei einem Topmedium ist, bekommt man diese nie von nah zu sehen. Mir gefällt die Idee eines Festivals für Langfilme, wo die Regisseure präsent sind und das Publikum sie hautnah erleben kann. Es bringt nichts, wenn James Cameron ans NIFFF käme und nur in der VIP-Lounge sitzen würde.
ON: Wie ist das NIFFF denn eigentlich entstanden?
OM: Ursprünglich war der Event etwas kleineres, wilderes in einer Kirche in La Chaux-de-Fonds. Wir haben uns das am Festival von Brüssel abgeschaut, und es kamen auch viele Metal-Fans. Das ging von 1995-1998 gut, dann kam unser Team an einen Scheideweg. Die Rock'n'Roller standen den Filmenthusiasten gegenüber. Letztere wollten ein richtiges Filmfestival mit Premieren etc. durchführen. So wurde das NIFFF im Sommer 98 konzipiert.
ON: Welche Grundgedanken standen bei der Gründung im Vordergrund?
OM: Es sollte ein Anlass für die Fans des Genres werden. Zweitens war uns aber der filmhistorische Aspekt auch sehr wichtig. Wir wollten dem fantastischen Film den Platz innerhalb der Filmgeschichte einzuräumen, den er sich verdient hat. Im Schweizer Markt gibt es ganz wenige Filme dieser Art. Die Fantasyfilmkultur in der Schweiz ist sehr schwach. Bereits in Frankreich ist das schon ganz anderes. Ich habe im Gymnasium in den Cahiers de Cinema über den fantastischen Film lesen können. Joe Dante, John Landis und John Carpenter zum Beispiel. Alle diese Regisseure gehören für mich zum grossen Kino. Das ist kein Underground mehr. Seit Tarkowski, Méliès und Fritz Lang ist der fantastische Film gleich zentral innerhalb der Filmgeschichte wie die Dokumentarfilme.
ON: Wie positioniert sich das Festival heute innerhalb des Schweizer Festivalgeschehens?
OM: Am Anfang galten wir als Festival für Teenager. Heute fahren wir eine doppelgleisige Strategie. Im Welschland sprechen wir alle Cinephilen an. In der Deutschschweiz müssen wir sehr zielgruppenorientiert arbeiten. Wir sprechen deshalb vor allem Fantasyfans an statt ein ganz breites Publikum. Es bleibt schwierig, beim Deutschschweizer Publikum für einen Anlass in Neuenburg Interesse zu wecken. Trotz der Expo. Das Schweizer Fernsehen, die SonntagsZeitung, ja nicht einmal die Berner Zeitung lassen sich zu grösseren Berichten bewegen. Kein Wunder, wenn uns sogar die Lokalzeitung von Neuchâtel, L'Express, erst heute im siebten Jahr des NIFFF auf die Frontseite nimmt. Und auch dann nur mit dem Foto einer gerade erschossenen Asiatin.
ON: Warum findet das Festival im Juli statt?
OM: Als das Team zum ersten Mal mit der Idee in Neuchâtel vorstellig wurde, gab uns der Kinobesitzer nur das am schlechtesten laufende Wochenende des Jahres. Und das war halt im Hochsommer. Er glaubte zuerst nicht an den Erfolg vom NIFFF. Heute muss er jedes Jahr den grossen Verleihern sagen, dass er keinen Platz für die Sommerblockbuster hat.
ON: Heute ist das auch ein Vorteil, denn es ermöglicht euch ein Open-Air-Kino, von dem schon lange gesprochen wurde. Was bringt die neue Spielstätte am Ufer des Neuenburger Sees?
OM: Das Open-Air macht uns sichtbarer in der Stadt. Deshalb auch die Mainstream-Programmierung. Wir wollen die Leute anlocken, die immer noch ein bisschen Angst vor dem fantastischen Film haben. Es kommen zwar schon viele Neuenburger zu uns, aber wir haben noch nicht das volle Potential ausgeschöpft. Es geistert immer noch das Klischee herum, dass wir zu bizarr sind und vor allem Horrorfilme zeigen.
ON: Wie kommt ihr an die ganz grossen Namen heran? Warum kommen immer wieder sehr berühmte Regisseure wie Terry Gilliam und George A. Romero nach Neuenburg?
OM: Zuerst waren wir Outsiders ohne Geld. Ich bin kein Diplomatensohn und kenne niemanden. Wir waren einfach junge Leute aus Neuchâtel. Ohne die Hilfe von Produktionsbüros ist das Finden der Adresse eines Stars wie die Stecknadel im Heuhaufen. Vor allem vor dem Internet, wie wir es heute kennen. Es gab 1998 Yellow Pages bei Yahoo aber nicht viel mehr. Wir hatten viel Glück bei der ersten Ausgabe im Jahr 2000, dass Tobe Hooper und Shinya Tsukamoto anreisten. Ansonsten muss man einfach mit viel Geduld insistieren. Die Assistentin von Terry Gilliam haben wir sicher hundert Mal angerufen, bevor es geklappt hat. Mit den Koreanern, die dieses Jahr Ehrengäste sein werden, ging das ganze schon etwas geordneter zu und her. Die koreanische Botschaft und Korean Air sind involviert. Ebenso unsere Freunde vom koreanischen Filminstitut und Verleiher in Korea, also viel herkömmlichere Kanäle. Wir haben speziell in Japan und Korea eine sehr gute Reputation. Das hilft. Auch ist Park Chan-Wook in Frankreich sehr bekannt. Wir haben viele Interviewanfragen von französischen Journalisten. Deshalb haben uns in diesem Fall auch die französischen Verleiher auch geholfen, ihn in die Schweiz zu bringen.
ON: Gab es nie Probleme mit diesen Superstars?
OM: Doch. Roger Corman kam 2004 als Jurypräsident nach Neuchâtel und ist den ganzen Tag im Hotel geblieben. Da bin ich wirklich wütend geworden. Da haben wir 10'000 Dollar für seine Reise bezahlt, und er hat sich alle Filme auf DVD in seinem Zimmer angeschaut. Sowas ist sinnlos. Ich will, dass die Fans mit Terry Gilliam, Ray Harryhausen, Nicolas Roeg und all den anderen eine Stange an der NIFFF-Bar trinken können!
ON: Wen wünscht du dir für die Zukunft als Stargast?
OM: Ich bin zwar kein Fan von The Lord of the Rings, aber Peter Jackson verkörpert die Faszination für den Fantasyfilm ganz gut. Er kam von ganz unten und machte seine ersten Filme für einen kleinen Kreis. Heute gehört er zu den bekanntesten Regisseuren der Welt. David Cronenberg, Francis Ford Coppola, James Cameron, David Lynch, Martin Scorsese haben vielfach bei Roger Corman angefangen, simple Slasher- oder Horrorfilme gedreht, und sind danach gross geworden. Heute kann man sich in Spanien oder Argentinien einen Namen in der Szene machen und dann nach Hollywood gehen als Genreregisseur. Dem Fantasyfilm gehört die Zukunft. In diesem Genre kann man für 200'000 Fr. ganz coole Filme machen. Und es gibt Anzeichen, dass dies auch vermehrt in der Schweiz, auch an der HGKZ, wieder geschieht.
ON: Bis jetzt lief aber noch nie ein Schweizer Film im internationalen Wettbewerb des NIFFF.
OM: Marmorera wäre einer gewesen, aber der wurde leider schon im Kino ausgewertet. Wir zeigen nur nationale Premieren im Wettbewerb. Die Festivalszene muss sich überlegen, wie sie die Exklusivität handhaben wollen in Zukunft. Wenn ein Film im französischsprachigen Europa eine Premiere ist, nehm ich ihn auch, wenn man ihn in der Deutschschweiz schon einmal sehen konnte. Weltpremieren werden aber immer schwierig bleiben.
ON: Möchte das NIFFF-Publikum überhaupt solche Filme sehen?
OM: Ja. Das Fantasy Filmfest in Deutschland ist zwar viel grösser als wir, aber sie orientieren sich enger am Horror- und Slashergenre. Wir zeigen auch den Autorenfilm. Das Publikum am NIFFF liebt die "kleinen Filme". In Neuchâtel gewinnen nicht die Produktionen mit Stars wie 28 Days later, The Machinist oder Tideland die Publikumspreise sondern Tokyo Godfathers, Adam's Apples oder Gozu.
ON: Warum sollte man als Deutschschweizer nach Neuchâtel ans NIFFF reisen?
OM: Weil man Filme sehen kann, die man sonst nirgends sieht. Ausser den Kurzfilmfestivals ist das NIFFF das letzte richtige Filmfestival ohne VIP-Scheiss. Man trifft die Regisseure persönlich. Und die Macher von fantastischen Filmen sind kluge, gebildete, ganz normale Menschen ohne Ticks - ausser vielleicht Dario Argento (Er lacht).
Dossier: 7. Neuchatel International Fantastic Film Festival 2007