Gut kopiert ist halb gewonnen

Mehr Glamour versprach M. Bideau für den Schweizer Filmpreis. War dem so? Eine Analyse.

Für die 10. Verleihung des Schweizer Filmpreises wurde von Nicolas Bideau, dem obersten Filmchef, mehr Glamour versprochen. Und das schürt dann jeweils die Erwartungen an eine Veranstaltung, die dem grössten Bruder, der Oscarverleihung, in wenig nachstehen möchte. Die künstlerischen Leiter Noëmi Reith und Iuri Rigo haben denn auch fleissig abgeschaut, wie das die Showprofis machen, und der geübte Award-Show-Geniesser erkannte so einige Parallelen.

Gleich zu Beginn der erste Paukenschlag vom blendend aufgelegten Host Gilles Tschudi: Als Pfarrer begrüsste er die Filmgemeinde von der Kanzel des schon ein bisschen an ein Kirchenschiff erinnernden Konzertsaal von Solothurn. Tschudi sollte sich im Verlauf des Abends noch mehrmals verkleiden, bis auch er im Smoking auftreten konnte, wie ein Grossteil der eingeladenen Männer. Im Opening Monologue begrüsste er (als Elvisimitator?) dann einige der Nominierten im Saal, wie das ein Billy Crystal nicht besser machen könnte. (Texte von Thomas Lüthi (deutsch) und Thierry Romanens (französisch)) Positiv anzumerken ist dabei, dass die Angesprochenen auch reagierten. Sogar die Übergangenen (Nils Althaus, Tschudi alias Ospel) bekamen im Verlauf Raum, sich über ihre Nichtnomination zu beklagen. So war es über weite Strecken wirklich wie an der Oscar-Verleihung: Es gab kleinere Pannen, eine Band für den Surfersound, einen Nekrolog mit Clips aus Daniel Schmids Filmen und Dankesreden, die man mehr oder weniger galant versuchte zu kappen. Ja sogar an die Unterbrecherwerbung wurde gedacht. Auch wenn nicht jeder der auf die Bühne gelassenen Firmenbosse die dafür nötige Bescheidenheit an den Tag legte, als sie mittels vorgefertigter Texte einen Bezug zwischen ihren Unternehmen und dem Film herstellen sollten. Vereinzelter Unmut im Saal war die Folge.

Oft war es jedoch viel lustiger, als man sich das erhofft hat. Unbezahlbar war der Gesichtsausruck des früheren Preisträgers Samir, als er für einmal am Reden gehindert wurde. Oder die beste Hauptrolle Papa Bideau, der sich auch in einer italienischen Dankesrede versuchte (für die Rätoromanen gab es jeweils eine Titeleinblendung in den Nominationsclips.). Oder die beste Nebenrolle Natacha Koutchoumov welche über ihre bisherigen Filmrollen sinnierte, die oft nicht einmal einen Nachnamen hatten. Auch das Heidi und der Geissenpeter, welche die Laudatoren auf die Bühne führen sollten - eine Idee, die man sich von der FIFA-WM-Eröffnung ausgelehnt hat - sorgten mit ihrer temporären Verwirrtheit für Schmunzler.

Alles konnte hingegen nicht wie in den USA sein. Technikerpreise (Kamera, Schnitt etc.) gibt es beim Schweizer Filmpreis nicht. Und weil auf die eine oder andere Art jeder Film zu seinem Preis (lies Geld) kam auch keine wirklichen Verlierer des Abends. So fühlte sich Stina Werenfels nach der Verkündung des Spezialpreises der Jury für ihr Nachbeben-Ensemble richtigerweise wie nach dem Erhalt eines Friendship-Tickets im MusicStar. Auch der angekündigte Glamour war quasi inexistent. Die paar Spiegelkugeln über den Köpfen der Anwesenden könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf der Bühne viel zu viele Schimpfworte gebraucht wurden. In Sachen «putain» nahm man sich die schweizerischen Freiheiten, die bei den «nationwide» übertragenen US-Shows niemand bekommt.

Die Preisträgerinen und Preisträger in der Übersicht

Bester Spielfilm

Comme des voleurs von Lionel Baier
Das Fräulein von Andrea ?taka
Grounding von Michael Steiner und Tobias Fueter
Mon frère se marie von Jean-Stéphane Bron
Vitus von Fredi M. Murer

Bester Dokumentarfilm

Das Erbe der Bergler von Erich Langjahr
Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez von Heidi Specogna
Ein Lied für Argyris von Stefan Haupt
Hippie Masala von Ulrich Grossenbacher und Damaris Lüthi
La liste de Carla von Marcel Schüpbach

Bester Kurzfilm

Aschenbrüder von Steve Walker
Beckenrand von Michael Koch
Feierabend von Alex E. Kleinberger
Nachtflattern von Carmen Stadler
Rachel von Frédéric Mermoud

Bester Trickfilm

Banquise von Claude Barras und Cédric Louis
Hang Over von Rolf Brönnimann
Herr Würfel von Rafael Sommerhalder
Jeu von Georges Schwizgebel
Wolkenbruch von Simon Eltz

Bestes Drehbuch

Cannabis von Niklaus Hilber und Paul Steinmann
Das Fräulein von Andrea ?taka, Barbara Albert und Marie Kreutzer
Jeune Homme von Maya Todeschini, Christoph Schaub, Marcel Hoehn und Elisabeth Diot
Nachbeben von Petra Lüschow und Stina Werenfels
Vitus von Peter Luisi, Fredi M. Murer und Lukas B. Suter

Beste Hauptrolle

Jean-Luc Bideau in Mon frère se marie
Stephanie Glaser in Die Herbstzeitlosen
Michael Neuenschwander in Nachbeben

Beste Nebenrolle

Natacha Koutchoumov in Pas de panique
Hanspeter Müller-Drossaart in Jeune Homme
Leonardo Nigro in Nachbeben

Spezialpreis der Jury

Für das gesamte Ensemble in Nachbeben

Roland Meier [rm]

Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.

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