Hotel Rwanda: Interview mit Paul Rusesabagina
Während dem Völkermord in seiner Heimat, rettete er in seinem Hotel Hunderten Menschen das Leben. Trotzdem ist er bescheiden geblieben. Will kein Held sein. Es scheint ihm gut zu gehen.
Gibt es unfreundliche Hotelmanager? Nein. Auch Paul Rusesabagina, ehemaliger Manager eines Luxushotels in Ruanda ist die Freundlichkeit in Person. Zehn Jahre ist es her, seit den schrecklichen Ereignissen, die wir uns alle gar nicht vorstellen können.
OutNow (ON): Du hast Hotel Rwanda wahrscheinlich schon mehr als einmal gesehen und sprichst mit den verschiedensten Personen über Deine Erlebnisse. Wie gehst Du damit um?
Paul Rusesagabina (PA): Wenn ich von meinen Geschichten und Erlebnissen erzähle, therapiere ich mich auf eine Art selber. Es hilft mir, das Ganze los zu werden. Behält man solche Dinge in sich drin, wird man eines Tages förmlich explodieren. Wenn man das Erlebte aber mit anderen Leuten teilt, hilft es enorm.
ON: Wie traumatisch war jene Zeit?
PR: Es ist nicht einfach zu beschreiben. Manchmal, wenn man glaubt man schlafe friedlich, wacht man wegen der Morde auf, die um einen rum noch immer geschehen. Für mich war es reine Folter.
ON: Wie gehst Du damit um, Überlebender einer solchen Tragödie zu sein?
PR: Manchmal setze ich mich einfach hin und danke Gott von ganzem Herzen, dass ich überlebt habe. 1994 war ich mir in einem Punkt ganz sicher: Ich war fest davon überzeugt, umgebracht zu werden. Glücklicherweise wurde ich nicht getötet. Nun nenne ich die Zeit zwischen 1994 und dem Heute einen «Bonus». [Er hält einen Moment inne]. Es ist einfach ein Bonus.
ON: Manchmal müssen Kinofilme, die auf wahren Gegebenheiten beruhen, Kompromisse eingehen. Wie viel von Hotel Rwanda entspricht noch den Tatsachen?
PR: Die Zusammenarbeit mit dem General der Vereinten Nationen (UN) lief in Wirklichkeit anders ab, als im Film gezeigt wird. Alles, was man über das Hotel «Mille Collines» sieht, wird um einiges gemässigter gezeigt, als es damals stattgefunden hat. Was eigentlich dort passierte, war schlichtweg grauenhaft. Dies wirdim Film nicht gezeigt. Das hätte man niemandem zumuten können. Etwa 90% des Films sind jedoch wahr und wirklich so geschehen. Natürlich bringt jeder gute Koch bei seinen Gerichten seine persönliche Note mit ein - etwas mehr Salz und Pfeffer sowie weitere Gewürze - nach seinem Gusto und wie er das Essen seinen Gästen servieren möchte. Ich gebe dir ein Beispiel. Die Szene, in der ich mich mit meiner Frau auf dem Hoteldach befinde, wurde zur wirklichen Szene noch einiges dazugegeben. Bevor ich meine Frau zum ersten Mal traf, arbeitete sie im Norden. Die Menschen im Norden Ruandas hatten bereits begonnen, Tutsi zu ermorden. Ich wusste, dass sie eine Tutsi war. Und als wir uns trafen, sagte sie mir, sie sei Krankenschwester von Beruf und habe echte Todesangst. Ich sagte ihr nicht, was ich wusste und so wurden wir einfach gute Freunde. Ich hatte aber einige Kontakte, mit denen ich sie durch das Ministerium für Gesundheit in die Region von Kigali (die Hauptstadt) bringen lassen konnte. Das war die wahre Begebenheit. Die «schöne Zeit» zusammen auf dem Hoteldach war also etwas mehr in Richtung dieser sogenannten Würze für den Film.
ON: Was hälst Du davon, wie Don Cheadle Dich verkörpert?
PR: Das war wirklich sehr gut. Er hat fantastische Arbeit geleistet. Wir verbrachten eine Menge Zeit zusammen; er sandte mir E-Mails. Er wollte genau wissen, was für ein Mensch ich bin - meine Geschichte kennen lernen, von meiner Kindheit bis zu dem Zeitpunkt, als wir uns trafen. Und er nahm sich die Zeit, zwei Wochen vor Beginn des Filmdrehs nach Südafrika zu kommen, um mit mir rund um die Uhr zusammen zu sein und alles gemeinsam zu teilen. Er wollte diesen Film einfach von Anfang bis Ende richtig machen. Er hatte sogar einen Dialekt-Lehrer, der ihm meinen Akzent beibrachte. Er hat alles daran gesetzt, dass alles so perfekt wie möglich sein würde.
ON: Wenn Du nun nach Ruanda zurückkehrst, um Deinen Film vorzustellen, wirst Du als Held empfangen werden oder werden da einige Leute sein, die Dir Deine Rolle dort übel nehmen?
PR: In Wirklichkeit bin ich kein Held. Ich glaube auch nicht, dass ich je einer werde. Natürlich gibt es gewisse Leute, die gegen mich sein werden. Das ist sicher. Das versteht sich von selbst.
ON: Hast Du je den Film Schindler's List gesehen, und fühlst Du dich irgendwie mit der Story verbunden?
PR: Ich hatte zuvor nie etwas von diesem Film gehört bis Terry (George, der Regisseur von Hotel Rwanda) ihn mir gab. Er hat eine gute Geschichte.
ON: Hast Du dich in dem Film wiedererkannt?
PR: Ich unterscheide mich sehr von Schindler. Schindler hatte sich während fünf Jahren gegen die Nazis zur Wehr gesetzt. Er war ein sehr starker Mann.
ON: Aber Du warst doch ebenfalls sehr clever.
PR: Das denke ich nicht.
ON: Warum nicht?
PR: Ich bin nicht stark. Und ich kenne mich besser als jeder andere!
ON: Doch im Film sieht man Dich als cleverer Improvisator.
PR: Ich bezweifle, dass ich sehr clever bin. Vielleicht bin ich einfach gut darin, wie ich mit den Leuten rede.
ON: Warst Du seit damals wieder in Ruanda?
PR: Ich habe Ruanda 1996 verlassen. Ich ging nach Belgien und kam erst nach sieben Jahren gemeinsam mit den Filmemachern zurück.
ON: Glaubst Du, dass Du je wieder nach Ruanda ziehen wirst?
PR: Bis jetzt habe ich nicht über einen Umzug nachgedacht. Der momentane Friedenszustand in Ruanda ist nicht stabil. Wäre der Frieden wirklich stabil, wäre ich die erste Person, die sich ins Flugzeug zurücksetzen würde.
ON: Glaubst Du nicht an einen dauerhaften Frieden?
PR: Nein, denn es herrscht dieser Grundton der Einschüchterung. Deshalb nicht.
ON: Denkst Du, dass alles nochmal geschehen könnte?
PR: Wenn die Situation so bleibt, wie sie zurzeit ist, bleibt sie angsteinflössend. Es herrscht eine Situation in welcher die Versöhnungsversuche von Seiten des Gewinners ausgehen - er will «seine» Aussöhnung kompromisslos durchbringen. Das ist keine echte Versöhnung. Eine dauerhafte Versöhnung wird immer von beiden Seiten ausgehandelt. Es ist niemals eine Einbahnstrasse, sondern stets eine mit Gegenverkehr.
ON: Was waren Deiner Meinung nach die Wurzeln jenes Problems? Gibst Du den Belgiern die Schuld?
PR: Ich würde zuerst die Schuld bei den Ruander suchen, da die Probleme schon weit zurück in Ruandas Geschichte verwurzelt sind. Als die Deutschen in Ruanda die Macht übernahmen veränderten sie nie irgendetwas. Sie behielten vielmehr jenen Grundsatz, der besagt, dass die Tutsi cleverer und gewiefter, vornehmer und intelligenter seien. Tutsis seien geboren, um zu herrschen und Hutus hätten stets Respekt zu zeigen. Das war der erste Fehler, den sie gemacht haben. Als Belgien Ruanda 1923 unter seine Schirmherrschaft nahm, änderten sich diese Grundsätze ebenfalls nicht. Sie machten einfach so weiter wie bisher und fingen sogar an, in jeder Identitätskarte die jeweilige Volkszugehörigkeit zu vermerken. Dies war ein extrem grosser Fehler. Und dann, in 1959, fand eine Revolution statt, die sie «Massenrevolution» nannten. Doch die Massenrevolution war eigentlich keine. Es war eine Revolution, ein Aufbäumen der Hutus mit dem Ziel, den Tutsis und den Belgiern die Macht weg zu nehmen.
ON: Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen Hutu und Tutsi?
PR: Ich für meinen Teil wurde in eine «gemischte Familie» geboren und bin darin aufgewachsen. Doch ich habe nie einen Unterschied zwischen meiner Mutter und meinem Vater sehen können. Meine Frau ist hier. Sie kann, wenn Du möchtest, kurz runter kommen. Du würdest ebenfalls keinen Unterschied zwischen uns beiden sehen.
ON: Gab es nebst den ethnischen Streitigkeiten noch andere Gründe für den Konflikt?
PR: In Ruanda gibt es zahlreiche Probleme. Zuerst ist da die Angst vor dem Anderen. Ruander mögen es nicht, etwas zu teilen. Entweder besitzen sie etwas, oder sie besitzen nichts. Der zweite Grund für den Konflikt ist die Straflosigkeit, die in Ruanda permanent - seit geraumer Zeit - im Hintergrund war und geschützt sowie gestützt hat, was eigentlich hätte verfolgt, verurteilt und bestraft werden müssen. Ich gebe Dir ein Beispiel. Als 1959 viele Tutsis Ruanda verliessen, besetzten die Hutus deren Höfe - Acker, Vieh mitsamt Maschinen. Und ich habe nie irgendjemanden gesehen, der dafür, dass er das Haus seines Nachbarn besetzt und übernommen hatte, verurteilt worden wäre. Es lief immer gleich ab. Drittens ist es ein wirtschaftliches Problem. Ruander sind sehr arm. Egal, was Du armen Leuten für Ratschläge erteilst, sie werden diese immer gleich akzeptieren. Wenn diese verzweifelte Haltung von schlechten Führern ausgenutzt wird, wird alles nur noch schlimmer, vor allem, wenn die Führer dann auch noch die Medien für ihre Zwecke missbrauchen.
Die Medien können sehr gute Waffen im Kampf für einen guten Zweck sein. Doch genauso können sie unsagbar zerstörerisch wirken, wenn sie der Verfolgung eines schlechten Ziels dienen. Die Führung, die RTLM Radio deshalb übernahm, um einige Gruppen von Leuten - Tustsis und ihre gemässigten Freunde - zu entmenschlichen, hatte damals viele Menschen eliminiert. Ruander kaufen keine Zeitungen, sondern hören vielmehr Radio. Alle und jeder einzelne wusste, dass diejenigen, die vor dreissig Jahren die Möglichkeit hatten ein Haus zu besetzen, dies heute noch immer tun. Jeder, der Land für sich beanspruchte, das ihm gar nicht gehörte, ist nach wie vor in dessen Besitz. All dies wurde vom Hauptbüro rechtlich akzeptiert.
ON: Wie viele Radio Stationen wurden von den Hutus während des Genozids kontrolliert?
PR: Sie sendeten nur über RTLM, aber alle Leute hörten nur diese Station. Sämtliche Nachrichten von offizieller Seite hätten durch diesen Kanal gesendet werden müssen.
ON: Was wäre passiert, wenn die Internationale Gemeinschaft jene Radio Station bombardiert hätte?
PR: Leider haben sie dies nicht getan, weil es das Kommunikationsmittel schlechthin war. Wäre diese «Verbindung» unterbrochen worden, hätte das bestimmt unzähligen Menschen geholfen zu überleben. Das Radio sagte den Leuten: «Vergesst nicht: Säubert eure Nachbarschaft gründlich! Nehmt auch Büsche unter die Lupe, selbst wenn sie vor Dreck stehen! Es ist alles verseucht! Seht euch vor und helft, diese Plage zu beseitigen. Helft töten. Wir haben noch lange nicht alle erwischt!» Töten wurde zur Pflicht.
ON: Lief diese Station während Tag und Nacht?
PR: Man fing an, 24 Stunden am Tag zu senden.
ON: Arbeitest Du noch immer im Hotelleriegewerbe?
PR: Nein. Ich verliess das Hotelbusiness 1995. Ich musste einfach bei Sabena kündigen, nachdem ich all das gesehen und miterlebt hatte. Danach eröffnete ich meine eigenen Unternehmen, was leider nicht funktionierte. Es war zu viel und zu hart, aus Ruanda zu fliehen. Ich war ein Flüchtling.
ON: Was für ein Unternehmen führst Du heute?
PR: Zurzeit habe ich ein LKW-Transport Unternehmen in Sambia in Südafrika. Ich arbeite in Afrika und lebe in Europa, sozusagen.
ON: Und wo würde Deine Familie gerne leben?
PR: Meine Frau und ich würden gerne in Ruanda leben. Doch da dort kein wirklicher Friede herrscht, wagt sie es erst gar nicht, die Leben der Kinder aufs Spiel zu setzen.
ON: Was glaubst Du, wird Hotel Rwanda für Dein Heimatland tun?
PR: Ich hoffe, dass dieser Film die Rolle einer Uhr einnehmen wird, die die Leute aufweckt - in Ruanda und rund um den Globus. Ich hoffe, er bringt uns alle zurück zu unseren Aufgaben, Pflichten und Verantwortungen der Menschheit gegenüber. Die Leute in Afrika sind beinah vergessen gegangen. Sie haben nichts zu essen. Täglich werden unzählige von ihnen wie lästige Fliegen getötet und niemanden kümmert es. Ich war von ein paar Wochen in Darfour und zu tiefst bestürzt von dem, was ich dort sah: 1.6 Millionen Menschen wurden innerhalb ihres eigenen Landes umherge- und vertrieben. 200'000 Flüchtlinge in Chad, die auf dem Sand und dem Staub der Sahara schlafen. Es ist zu heiss während des Tages und zu kalt während der Nacht. Keine Kleidung, kein Wasser. Nichts, nicht einmal Hoffnung für die nächste Generation. Hunderttausend Kinder, die nicht zur Schule können. Als die Kinder uns sahen, bildeten sie eine Art Empfangsdemo. Etwa 2'000 von ihnen nahmen eine Schultafel und schrieben darauf «Ein Willkommen unseren Gästen! Aber wir brauchen Bildung!» Die Schande der Menschheit wird immer grösser.
ON: Was sollten die westlichen Länder tun, um eine echte Veränderung zu bewirken?
PR: Alles, was in Afrika vor sich geht, trug stets den westlichen Einfluss mit sich. Aber wenn wir schlechte Funktionen und Aufgaben vollbringen können, können wir auch gute Dinge durchziehen. Warum können wir unsere Haltung nicht ändern und Bildung sowie Nächstenliebe wieder zu den ursprünglichen und richtigen Zielen machen und somit den Leuten helfen?
ON: Vielen Dank.
PR: Gern geschehen.