Das Licht (2025)

Das Licht (2025)

  1. 162 Minuten

Filmkritik: Pfunzeln in the Rain

75. Internationale Filmfestspiele Berlin 2025
Nachem Räge schynt d'Sunne.
Nachem Räge schynt d'Sunne. © X-Verleih

Die Engels sind eine progressive Familie in Berlin. Vater Tim (Lars Eidinger) schwadroniert sich für lukrative Aufträge als PR-Berater durch den Zeitgeist. Mutter Milena (Nicolette Krebitz) therapiert Traumata mit Theater im Auftrag eines von deutschen Entwicklungshilfe-Geldern finanzierten NGOs. Die beiden beinahe erwachsenen Zwillinge Frieda (Elke Biesendorfer) und Jon (Julius Gause) drögeln sich durchs Nachtleben oder hoffen hinter der VR-Brille auf Erfolg im E-Sport.

Licht an für die Rundlicht-Therapie.
Licht an für die Rundlicht-Therapie. © filmcoopi

Als die polnische Putzfrau der Engels einem Herzinfarkt erliegt, sind zumindest die Frauen in der Familie bestürzt. Es muss aber trotzdem eine neue Reinigungskraft her. Da meldet sich Farrah (Tala Al-Deen), eine therapeutisch hochqualifizierte Immigrantin aus Syrien. Sie findet schnell Zugang zu allen Engels, hantiert aber mit blinkenden Lampen, die Nahtod-Erlebnisse hervorrufen können. Kann sie die dysfunktionale Familie, in der jede und jeder sein eigenes Süppchen kocht, wieder zusammenkitten?

Die Welt ist komplex geworden. Doch Tom Tykwers Eröffnungsfilm der Berlinale 2025 will so viel erzählen, dass fast nichts wirklich hängen bleibt. Was witzig sein soll, hat realsatirische Züge. Und Tala Al-Deens Figur beweist, dass im deutschen Kino der «Magical Negro» aus Hollywood fast eins zu eins durch eine syrische Immigrantin ersetzt werden kann. War das mit der Inklusion so gemeint? Ein Pick-Your-Issue-Film: Für jeden Weltschmerz ist etwas dabei.

Für die letzten zehn Jahre hat sich Tom Tykwer vor allem seiner Serie Babylon Berlin gewidmet. Das Licht markiert seine Rückkehr auf die Kinoleinwand und ist nach The International und Paradise der dritte Tom-Tykwer-Film, der eine Berlinale eröffnen darf. Eine passende Wahl, da er die obere Mittelschicht vom Prenzlauer Berg träf persifliert.

Schon Lola rennt, Tykwers Durchbruch, und 3, aus dem Wettbewerb von Venedig, hatten Berlin als Schauplatz. Das Licht wird vom Regisseur als die ältere Schwester von Lola bezeichnet, einfach mit komplexeren Themen, aber allerlei bekannten Schauplätzen wie dem Westhafen oder dem Potsdamer Platz. Für Tykwer ist das auch eine Rückkehr ins moderne Berlin, nach fünf Staffeln 1920er- und 1930er-Jahre-Flair in der Serie, deren Hauptdarstellende Liv Lisa Fries und Volker Bruch hier Gastauftritte haben.

Das Licht bietet auch die visuelle Gymnastik, für die Tykwer bekannt ist, mehrere Musical-Nummern - mehrfach mit «Bohemian Rhapsody» von Queen, mal mit Bodybuildern, die um Lars Eidinger herumpumpen -, eine Animationssequenz und ein oft virtuoses Zusammenspiel zeitgleicher Handlung an unterschiedlichsten Orten. Sogar Verkehrsunfälle werden so zu Poesie. Der Regisseur drückt bildlich ziemlich auf die grosse Tube.

Tykwers Film, bei dem er auch das Drehbuch geschrieben hat, ist aber überladen mit Themen: Richtig gross gesellschaftskritisch sind das Ehedrama, die Identitäts-Ängste und die Flüchtlings-Tragik. Nebenschauplätze wie Virtual Reality, Fridays for Future, Wohlstandsverwahrlosung, Greenwashing, «Alte Weisse Männer» und gendernde Polizistinnen haben's da schon schwerer. Ganz am Rande hat's trotzdem auch noch Platz für eine Abtreibung und Flugturbulenzen bei afrikanischen Airlines.

Genug Stoffe also für mehrere Episoden einer tragikomischen TV-Serie. Als Film funktioniert Das Licht über zweieinhalb Stunden nur bedingt. Trotz grosser Schauwerte, den glaubhaft aufspielenden Nicolette Krebitz und Lars Eidinger und allerorts Ansätzen von richtig Spannendem ist das doch sehr nah bei der Realsatire.

Roland Meier [rm]

Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.

  1. Artikel
  2. Profil
  3. E-Mail
  4. Twitter