Game Over - Der Fall der Credit Suisse zeigt genau das, was der zweideutige Titel verspricht. Anhand von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Recherchen und viel Archivmaterial wird durchaus verständlich aufgezeigt, was alles in den letzten fast 50 Jahren bei der CS verbockt wurde. Herausgekommen ist eine Dokumentation, ob deren Inhalt man sich empören und zwischendurch auch mal nur den Kopf schütteln kann. Das hohe Tempo, die Inszenierung und die Musik sind dabei darauf ausgerichtet, einen möglichst hohen «Impact» zu haben. Das kann ermüdend sein, aber als unterhaltsames Infotainment erfüllt der Film seinen Zweck.
Credit-Suisse-Mitarbeitende mussten sich am 19. März 2023 wie während der Coronapandemie gefühlt haben. Am Abend dieses Sonntags schalteten sie SRF 1 ein, wo ihnen in einer angekündigten Pressekonferenz - an der (wieder) Bundesrat Alain Berset anwesend war - mitgeteilt wurde, ob und auf welche Weise es weitergeht - die Aussichten waren schlecht, dass es noch hätte weitergehen können. In welchen Bereichen zuvor wegen Gier und nicht funktionierenden Kontrollinstanzen hingegen viel zu viel gegangen ist, beleuchtet diese Doku.
Der Fokus des Filmes von Simon Helbling, der zuvor die ausgerechnet durch die Credit Suisse unterstützte Fussball-Nati-Dok The Pressure Game umgesetzt hat, liegt dabei auf den Negativschlagzeilen. Grosse Errungenschaften wie die Finanzierung des Gotthardtunnels werden nur kurz gestreift. Danach geht es Schlag auf Schlag oder Skandal auf Skandal - unterlegt mit fast durchgehender überdramatischer Musik. Mit Positivem hält man die Leute nicht lange bei der Stange. Mit Informationen, über die man sich empören kann, hingegen schon. Auch wegen der Involvierung der Tamedia als Co-Produzentin ist da der Gedanke zum Clickbait-Film nicht weit. Zudem dürften reisserische Netflix-Dokus auch ihren Inspirationsanteil geleistet haben.
Der Niedergang einer Schweizer Grossbank ist aber nicht schön und um diesen nachzuzeichnen, wurde von Sonntagszeitung-Chefredaktor Arthur Rutishauser vieles an interessantem Material zusammengetragen. Schockierend sind vor allem die Mosambik-Episode und wie Mitarbeiter beim US-Steuerstreit einfach im Regen stehen gelassen wurden. Mit Fachbegriffen wird nicht gegeizt, doch wegen des horrenden Erzähltempos - in den 104 Minuten werden fast 50 Jahre abgedeckt -, bleibt nicht viel Zeit für Erklärungen. Wer gehofft hat, dass auch hier Margot Robbie den Film unterbricht, damit sie in einem Schaumbad sitzend uns Pfandbriefe näherbringt, müssen wir hier enttäuschen.
Stattdessen gibt es andere «Talking Heads», darunter auch Rutishauser selber, der jedoch immer etwas verdeckt und von der Seite gefilmt wird - als sei ihm die Kamera nicht geheuer. Die Stärke des Investigativjournalisten ist aber die Recherchearbeit und diese ist schon sehr eindrücklich. Deutlich wohler vor der Kamera fühlt sich derweil der Ex-CS-Mitarbeiter Richard J. Chandler, der heimliche Star des Ganzen. Sein Galgenhumor ist köstlich und wenn er sich mal mit verschränkten Armen darüber aufregt, dass die Top-Manager trotz allem immer ihre «verdammten Boni» bekommen haben, ist das sehr sympathisch.
Es gibt auch jene, die nicht vor der Kameras treten wollten - und diese bekommen ordentlich auf den Deckel. Unter anderem an Brady W. Dougan oder Tidjane Thiam wird kaum ein gutes Haar gelassen. Andere Verantwortliche, die für den Film interviewt wurden, kommen deutlich besser weg. Die ganze Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte. Die grosse Stärke von Game Over - Der Fall der Credit Suisse ist jedoch, dass er den trocken klingenden Stoff mitreissend auf die Leinwand bringt. Die Schweiz kann jetzt also auch «Infotainment».