Quiet Life (2024)

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  2. 99 Minuten

Filmkritik: The Kids Aren't Alright

81. Mostra Internazionale d'Arte Cinematografica 2024
Mit ungewissem Ausgang: Die Familie vor dem Asylentscheid.
Mit ungewissem Ausgang: Die Familie vor dem Asylentscheid. © Les Films du Worso

Schweden, 2018. Eine russische Familie versucht die schwedische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Sergei (Grigoriy Dobrygin) und seine Frau Natalia (Chulpan Khamatova) geben sich alle Mühe. Die beiden Töchter Alina (Naomi Lamp) und Katja (Miroslava Pashutina) reden schon sehr gut schwedisch. Und auch die Beamten des Migrationsamtes sind beim Check im privaten Heim beeindruckt von der Sauberkeit der Wohnung und der ausgewogenen Ernährung in Kühlschrank und Kochtopf.

Schwimmunterricht für Leblose.
Schwimmunterricht für Leblose. © Les Films du Worso

Als der eigentliche Entscheid zur Einbürgerung dennoch negativ ausfällt, ist die Familie regelrecht erschüttert. Bei der Bekanntgabe wird der Familie übersetzt, die «Bedrohung» in der Heimat sei zu wenig konkret. Die «Schwedenmacherin» lässt sich auch nicht von der Narbe quer über Sergeis Bauch beeindrucken. Es droht die Abschiebung. Das schockt die jüngere Katja so sehr, dass sie in einen komatösen Zustand fällt, mit dem die Familie zuerst mal klarkommen muss. So lange wären sie in Schweden noch geduldet…

Ein Studiofilm als Betroffenheitskino: Der griechische Arthouse-Regisseur Alexandros Avranas (Miss Violence), der auch schon einen Film mit Jim Carrey und Charlotte Gainsbourg gedreht hat, fühlt sich berufen, das schwedische Asylwesen zu durchleuchten. Er nimmt als Fallbeispiel eine apathisch agierende Migrantenfamilie aus Russland, deren Nachwuchs von einer von der WHO nicht anerkannten Krankheit betroffen ist. Eine zutiefst unemotionale Erzählung, die langatmig schildert, was fast nicht zu glauben ist.

Das Resignations-Syndrom ist keine Erfindung des Films. In Schweden werden seit den 2000ern mehrere Fälle traumatisierter Flüchtlingskinder - vor allem aus der Ex-Sowjetunion und Ex-Jugoslawien - registriert, die bewegungslos ihre Augenlider von innen anstarren. Alexandros Avranas ist gemäss eigener Aussage besessen vom Thema und möchte einerseits die Krankheit bekannter machen und andererseits das Leid der Betroffenen schildern.

Er tut das in einem eher stillen Film in grauen Räumen und mit beige gekleideten Protagonistinnen. Quiet Life ist kein herkömmliches Flüchtlingsdrama mit verzweifelten Menschen auf der Balkan-Route, sondern schildert eine unscheinbare, auf Assimilation bedachte Kleinfamilie, die schon schwedische Eigennamen für sich überlegt, bevor die Einbürgerung erfolgt.

Bis der Asylantrag - als erster kleiner Schock im Film - abgelehnt wird. Die bürokratischen Prozesse dabei sind extrem unterkühlt. Kein bisschen besser wird's bei der medizinischen Versorgung, die zwar auf Erste-Welt-Niveau ist, aber nicht unbedingt menschlich daherkommt. Das Problem dabei ist, dass eben auch die betroffene Familie viel zu gefühllos eingeführt worden ist. Mitleid will sich da nicht einstellen. Sogar die fremdenfreundlichen Schwedinnen im Film wirken wie Roboter.

Wenn die Schlusstafel im Film dann enthüllt, dass das soeben Gesehene auf wahren Begebenheiten basiert, ist man schon etwas stutzig. Hat Schweden denn keine Sozialdetektive oder eine politische Diskussion über «Schein-Asylanten», die so ein Treiben zumindest ansatzweise zur Diskussion bringen würde?

Roland Meier [rm]

Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.

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