Babygirl (2024)

Babygirl (2024)

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  3. 114 Minuten

Filmkritik: Horny Bosses

81. Mostra Internazionale d'Arte Cinematografica 2024
Küsschenbegrüssung, intime Version.
Küsschenbegrüssung, intime Version. © Niko Tavernise

Als CEO eines erfolgreichen Techunternehmens ist Romy (Nicole Kidman) ein Vorbild für viele moderne junge Frauen, die Karriere machen möchten. Auch privat führt sie ein Vorzeigeleben. Seit 30 Jahren ist sie glücklich verheiratet mit dem Theaterregisseur Jacob (Antonio Banderas), mit dem sie zwei Töchter im Teenageralter hat. Doch hinter der öffentlichen Fassade sieht's ein wenig anders aus. Denn sexuell kommt die toughe Berufsfrau nicht auf ihre Kosten. Nach dem Beischlaf mit ihrem Ehemann muss sie heimlich im Badezimmer zu einem Porno masturbieren, um zu ihrem Orgasmus zu kommen.

Eines Tages lernt sie in ihrer Firma den Praktikanten Samuel (Harris Dickinson) kennen. Trotz des Hierarchieunterschiedes tritt dieser seiner obersten Chefin sehr selbstbewusst gegenüber - so selbstbewusst, dass man fast schon von unangemessenem Verhalten sprechen könnte. Doch irgendetwas fasziniert Romy an dem jungen Mann. Die Begegnung führt dazu, dass sie eine ganz neue Seite in sich entdeckt, die sie zuvor noch nie ausgelebt hat.

Wenn die Chefin mit dem Praktikanten… Letztendlich ist Babygirl nichts anderes als die Verfilmung eines klassischen Pornoplots. Entsprechend beginnt Halina Reijns Film mit einer Sexszene und hört mit einer solchen auf. Zwischendurch schafft der Film einen psychologischen Unterbau für diese Konstellation. Trotz einiger erzählerischer Leerläufe und schlecht ausgearbeiteten Nebenfiguren überzeugt dabei vor allem das Zusammenspiel zwischen Nicole Kidman und Harris Dickinson. Ein sexy Thriller über Macht, Abhängigkeiten und erotische Abgründe.

25 Jahre ist es her, seit Nicole Kidman in Eyes Wide Shut zusammen mit Tom Cruise neue sexuelle Welten erkundete. Ihre Romy, die sie in Babygirl verkörpert, ist zwar älter, aber sexuell weit weniger aufgeschlossen als die Protagonistin aus Kubricks Film. Das erstaunt insofern, als wir heute in einer Welt leben, in der man sich für Kinks aller Art nicht mehr schämen muss. Dass die erfolgreiche CEO sexuell ähnlich unbedarft agiert wie Anastasia Steele in Fifty Shades of Grey, ist da schon etwas schwer zu glauben.

Aber nun gut, das ist wohl der «Suspension of Disbelief», den das Publikum eingehen muss, um sich auf den Film einzulassen. Einen Film, der sich durchaus subtil nicht nur mit Sex, sondern auch mit Dominanz und Unterwerfung und indirekt auch mit Rollenmodellen auseinandersetzt. Gelungen ist dabei vor allem die Interaktion zwischen den beiden Hauptcharakteren. Die leicht überspannte Kidman passt perfekt in ihre Rolle. Und ihr Co-Hauptdarsteller Harris Dickinson - bekannt vor allem als leicht unterbelichtetes Model aus Triangle of Sadness - gibt seinem Samuel eine interessante, nur auf den ersten Blick widersprüchlich scheinende Mischung aus forschem Auftreten und Verletzlichkeit.

Interessant ist auch die Besetzung von Antonio Banderas als Jacob. Ausgerechnet der Mime, der in jüngeren Jahren unter anderem als Latin Lover bekannt wurde, spielt hier den leicht stieren Ehemann, der von der sexuellen Frustration seiner Frau nichts mitkriegt. Dies zeugt von einem Sinn für Ironie. Da drückt wohl ein wenig die Komödienregisseurin durch, denn der letzte Film von Regisseurin Halina Reijn war der makabere Horrorspass Bodies Bodies Bodies. Auch sonst hat Babygirl immer wieder Anflüge von Humor. Der Film nimmt sich selbst gerade genug ernst, um das Thema nicht ins Lächerliche zu ziehen, und genug unernst, um nicht bieder-verkrampft zu wirken - wie es beispielsweise eben die Fifty-Shades-Trilogie ist.

Leider hat allerdings gerade ein Antonio Banderas wenig Gelegenheit, viel aus seiner Figur herauszuholen. Zu beschränkt ist seine Screentime, zu platt sein Charakter. Das gilt auch für alle anderen Nebenfiguren, die allesamt hauptsächlich als Plot-Device oder Stichwortgeber dienen. Auch ist die Geschichte eher arm an überraschenden Wendungen und kaschiert dies durch einige stylish inszenierte, aber inhaltlich unnötige Passagen. Da ist das erotische Katz-und-Maus-Spiel aus Fair Play schon etwas kurzweiliger, auch wenn dieser Film hinsichtlich Realitätsnähe wohl noch einige Stufen tiefer anzusiedeln ist.

Simon Eberhard [ebe]

Aufgewachsen mit Indy, Bond und Bud Spencer, hatte Simon seine cineastische Erleuchtung als Teenager mit «Spiel mir das Lied vom Tod». Heute tingelt er durch Festivals und mag Krawallfilme genauso wie Artsy-Farts. Nur wenn jemand einen Film als «radikal» bezeichnet, rollt er genervt mit den Augen.

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