Wicked Little Letters (2023)

Wicked Little Letters (2023)

Kleine schmutzige Briefe
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  3. 100 Minuten

Filmkritik: Hier geht die Post ab!

48th Toronto International Film Festival
«You foxy-a** *c***!»
«You foxy-a** *c***!» © Courtesy of TIFF

England in den 1920er Jahren: im idyllischen kleinen Küstenstädtchen Littlehampton hängt der Haussegen schief. Seit geraumer Zeit erhalten die Anwohner nämlich obszöne Briefe von einer anonymen Quelle, die sie aufs Übelste beleidigen. Darunter auch die fromme Edith (Olivia Colman), deren autokratischer Vater (Timothy Spall) ihr schnell rät, ihre freiheitsliebende Nachbarin Rose (Jessie Buckley) anzuzeigen.

Alleinerziehend, irisch, ständig laut fluchend und trinkend passt Rose nicht gerade in das geordnete Leben des Städtchens. Es braucht also nicht viel Überzeugungskraft von Edith, ihrem Vater und der Polizei, bevor sich ein grosser Teil der Gemeinschaft gegen Rose stellt und sie wegen Verleumdung verhaftet wird. Einzig Polizistin Gladys Moss beginnt zu vermuten, dass etwas nicht stimmt mit den gehässigen Briefen, die Rose verschickt haben soll. Zusammen mit einer Gruppe von Frauen versucht sie das Rätsel zu lösen, Rose zu befreien und den wahren Täter zu fassen.

Diese smarte britische Komödie mit sympathisch schrulligen Figuren überrascht bis zur letzten Minute mit einem frischen Konzept und einer spannenden Geschichte. Dabei zeigt Wicked Little Letters vor allem die verschiedensten Frauenschicksale nuanciert und mit viel Sorgfalt. Ein Film, der zum Lachen und Nachdenken animiert.

Von einem Film, der in den 1920ern spielt, erwartet man normalerweise idyllische Naturbilder, leise leidende Menschen, eine tragische Geschichte in einer längst vergangenen Zeit und schöne Kostüme. Thea Sharrocks (Me Before You) neuer Film Wicked Little Letters ist nach dieser Definition nur im entferntesten Sinn ein Kostümfilm: Es gibt Kostüme im Film und er spielt in der Vergangenheit. Ansonsten bricht die Regisseurin mit den gängigen Klischees und Erzählmustern des Genres und hat so einen erfrischenden, unterhaltsamen und bitterbös witzigen Film erschaffen. Hier dürfen hübsch gekleidete englische Ladys fluchen wie Seemänner und sich gegen die Normen ihrer Zeit auflehnen - unter denen sie zwar leiden, aber nie komplett machtlos erscheinen, wie das oft der Fall ist in Kostümfilmen.

Weibliche Rebellion und der Kampf gegen das Patriarchat führt dabei als roter Faden durch den Film. Manchmal still, im geschlossenen Kämmerchen, manchmal laut und ungehobelt, lehnen sich die Frauen Littlehamptons gegen die Doppelbödigkeit der Gesellschaft und die Regeln auf, die ihr Wohlergehen beeinträchtigen. Die Männer kommen dabei durchs Band sehr schlecht weg. Seien das die inkompetenten Polizisten, die Rose ohne Beweise festnehmen, oder Ediths tyrannischer Vater - grossartig widerlich gespielt von Timothy Spall -, der mit seinen kleingeistigen Vorstellungen übers Leben seine ganze Familie unglücklich macht.

Sie stehen im starken Kontrast zu den Frauenfiguren, die mit viel Kreativität und Ausdauer für ihr Glück kämpfen. Allen voran Jessie Buckleys Rose, die mit viel Witz jede einzelne Konvention ihrer Zeit über Bord wirft. Buckley und Colman brillieren dabei als unwahrscheinliche Gegenspielerinnen. All dies macht Wicked Little Letters zu einem äusserst witzigen Krimi, der trotz seiner leichten Momente und gerade wegen seiner subversiven Natur zum Nachdenken anregt und noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Linda Mullan [ljm]

Wollte wegen Indiana Jones eigentlich Archäologin werden, gräbt heute aber vor allem Perlen (manchmal auch Relikte) an Filmfestivals aus. Mag religiöse Filme von Alderaan, Hogwarts und Mittelerde und fand Jane-Austen-Adaptionen schon vor «Bridgerton» cool. Macht gerne zu Geschichtsdokus Nickerchen.

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