Der vermessene Mensch ist der erste deutsche Kinofilm, der sich mit dem Völkermord an den Hereros und Namas befasst. Dieses wohl dunkelste Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte wird von Historikern als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet.
Schon mit Das schweigende Klassenzimmer und Der Staat gegen Fritz Bauer hat Regisseur Lars Kraume auf die unschöne Vergangenheit Deutschlands geblickt. Mit Der vermessene Mensch hat er nun jedoch ein wahres Epos geschaffen, gegenüber dem die Vorgängerwerke im Vergleich munzig wirken. Gedreht wurde nicht einfach im Studio, sondern unter anderem in Namibia, wo prächtige Bilder entstanden sind, welche nach der grossen Leinwand verlangen.
Kraume wurde im Vorfeld kritisiert, dass er die Geschichte aus Sicht der Deutschen - und damit der Täter - erzähle, während die Opfer trotz prominenter Posterplatzierung im Film nur zu Beginn etwas zu sagen hätten. Das ist wahr, doch wollte der weisse Regisseur sich nicht anmassen, die Geschichte der Hereros und Namas zu erzählen und sich so der kulturellen Aneignung schuldig zu machen. Es ist offensichtlich, dass sich die Macher im Vorfeld viel überlegt haben und versuchten, sich dem schwierigen Thema mit möglichst viel Respekt zu nähern.
Aus diesem Grund ist aus Der vermessene Mensch keine White-Saviour-Geschichte geworden. Es gibt zwar Szenen, in denen Protagonist Alexander Hoffman versucht, etwas zu bewirken - nur, dass es eben nichts bringt. Auch aufgrund seiner Position als Wissenschaftler ist er mehr (halb-)stiller Beobachter und nimmt so die Position des Publikums ein. Da fällt es ein bisschen schwer, sich mit ihm zu identifizieren. Zum grossen Aktivisten à la Bruno Manser wird er nicht, da er gegen Ende auch selbst Blut an den Händen hat. Apropos Manser: Der Basler Schauspieler Sven Schelker, der in Bruno Manser - Die Stimme des Regenwaldes die Hauptrolle spielte, verkörpert hier das komplette Gegenteil: ein Monster von einem Oberleutnant.
Trotzdem ist äusserst schade, dass die Seite der Hereros und Namas hier nicht mehr zu Wort kommt. Girley Charlene Jazama holt jedoch aus ihren vergleichsweise wenigen Szenen das Beste raus, sodass dann auch das Ende erschütternd und aufwühlend ist und wie ein Schlag in die Magengrube wirkt; hoffentlich ein Schlag, der die erneute Verdrängung der wahren Ereignisse verunmöglicht.