Perfect Days (2023)

Perfect Days (2023)

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  2. 123 Minuten

Filmkritik: Kein Griff ins Klo

76e Festival de Cannes 2023
Ob es heute noch regnen wird?
Ob es heute noch regnen wird? © MASTER MIND Ltd

Der langsam in die Jahre kommende Hirayama (Koji Yakusho) wohnt in Tokio. Sein Tagesablauf ist stets gleichbleibend und dadurch perfekt routiniert: Nach dem Aufstehen wird der Fouton fein säuberlich zusammengefaltet und mit der Decke zusammen versorgt. Anschliessend werden die Bonsai-Sprösslinge benetzt und die Zähne geputzt, ehe Hirayama sich anzieht und den blauen Overall für seine Arbeit überstreift. Nachdem er die Treppe heruntergegangen ist, sammelt er auf der Ablage seine Schlüssel, seine Analogkamera und die Münzen für den Getränkeautomaten ein, holt sich einen Dosenkaffee und wählt im Auto seine Kassette für den Arbeitsweg aus.

Bei seiner Arbeit sitzt jeder Handgriff perfekt. Mit viel Hingabe reinigt Hirayama die Türgriffe, sammelt den Abfall in den architektonisch wunderbaren Toilettenhäuschen von Tokio ein oder überprüft mit dem kleinen Teleskopspiegel, ob seine Toiletten auch wirklich sauber geworden sind. Hirayama ist ein Gewohnheitstier: Seine Nudeln isst er jeden Abend im selben Imbiss, seine Wäsche wäscht er immer sonntags im örtlichen Waschsalon, und im selben Buchladen kauft er sich jeweils ein Buch, das er anschliessend liest. Bis eines Tages unverhofft seine Nichte Niko vor seiner Türe steht und ihn um eine Übernachtungsmöglichkeit bittet. Nach und nach kommt es zu kleinen Begegnungen, die den Alltag von Hirayama verändern.

Mit viel Herz und einer gehörigen Portion an Gemächlichkeit erzählt Perfect Days von der Schönheit des alltäglichen, einfachen und unaufgeregten Lebens. Mit wenigen, gut getimten Dialogen, vielen feinen Gefühlsmomenten, einem wunderbaren Spiel mit Licht und Belichtungen und Musik erschafft Wim Wenders ein schönes Drama, das nur wenig vermissen lässt.

Perfect Days lebt von kleinen, feinen Nuancen. Dabei ist sich Wim Wenders nicht zu schade, die repetitive Langeweile des Alltages zur Welt zu machen, in der sein neuster Film spielt. Und täglich grüsst das Murmeltier: Hirayamas Abläufe, Handlungen, ja sogar die kleinen Dinge in seinem Leben laufen mit einer stoischen Ruhe und Gewohnheit ab. Der pflichtbewusste, wortkarge, aber doch stets freundlich nickende Mann rollt seinen Futon fein säuberlich zusammen, giesst die Bonsais und schnappt sich das Kleingeld für den obligaten Kaffee aus dem Getränkeautomaten direkt vor seiner Haustüre.

Um die Dringlichkeit dieser Routine zu untermalen, zeigt sie Wenders in Mehrfachwiederholungen, ändert dabei jedoch stets kleine Details wie die Kameraposition oder den dargestellten Zeitraum einer Handlung: Einmal sieht man Hirayama in sein Auto steigen, ein anderes Mal aus der Ausfahrt ausbiegen. Stets durchsucht er jedoch seine Kassettensammlung nach dem ihm beliebigen Sound für seine Autofahrt.

Diese verwendeten Repetitionen lassen eine gewisse Ruhe entstehen. Perfect Days nimmt sich - wie sein Hauptdarsteller - für alles seine Zeit. Die Dialoge sind rar gesät, überzeugen jedoch durch ihre Spitzfindigkeit und ihren Charme und werden durch ihre Seltenheit umso wichtiger. Dabei sind es teilweise lediglich Bemerkungen von Randcharakteren zu nebensächlichen Geschehnissen, die ihre Wirkung entfalten. Kleine, generationenübergreifende Neckereien über Kassetten und Spotify dürfen natürlich nicht fehlen und sind herzig mit anzusehen. Sowieso ist es ein sehr feiner, unterschwelliger Humor, der den Film zu seiner Leichtigkeit führt.

Die Story mit all ihren kleinen Veränderungen und Begegnungen im Leben von Hirayama erwärmt mit viel Charme die Herzen der Zuschauer. So ist es für Hirayama selbstverständlich, die Toilette mitten im Reinigungsprozess schlagartig zu räumen, wenn ein Klient dringend seine Notdurft verrichten muss und gestresst reinplatzt; oder seiner Nichte Unterschlupf zu gewähren, ohne dabei Fragen zu stellen. Es ist das Kollektiv dieser vielen kleinen Momente, das Perfect Days ausmacht. Dass deren Herleitung nicht immer ganz schlüssig ist, spielt dabei nicht einmal eine wesentliche Rolle. Schwarz-weisse, immer wieder auftauchende Szenen können dabei als Träume und Imaginationen des Hauptcharakters gedeutet werden, zu einer klaren Auflösung kommt es jedoch nie.

Optisch kommt Perfect Days in perfekt ausgeleuchteten 4:3-Bildern daher. Wenders' Gespür für Licht, Belichtungen und Lichtspiele - beispielsweise an den Wänden der Toiletten, in unterschiedlich farbigen Räumen, in den nächtlichen Strassen - ist grossartig und erinnert an Paris, Texas. Und der Soundtrack, eine kleine Ode an die Kassette, passt sich ebenfalls grossartig ins Filmgefüge ein und macht den Film zum gelungenen, ruhigen und charmanten Drama.

Yannick Bracher [yab]

Yannick ist Freelancer bei OutNow seit Sommer 2015. Er mag (Indie-)Dramen mit Sozialkritik und packende Thriller. Seine Leidenschaft sind Filmfestivals und die grosse Leinwand. Er hantiert phasenweise noch mit einem Super-8-Projektor und lernt die alten Filmklassiker kennen und schätzen.

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Jetzt unter freiem Himmel!

Der Film wird Openair aufgeführt, das nächste Mal am 16. Juni 2025.

Trailer Originalversion mit deutschen Untertitel, 1:52 © DCM