Wofür ist Napoleon Bonaparte bekannt? Sicher für seine Feldzüge wie auch dafür, dass er nicht eine allzu grosse Körpergrösse gehabt haben soll. Letzteres hat zwar seinen Ursprung in einem Umrechnungsfehler, doch bringt man seither den angeblichen «Napoleon-Komplex» nicht mehr aus den Köpfen. Für das Biopic über den französischen Kaiser ist Ridley Scott nun beidem gerecht geworden: Zum einen hat er gleich drei epische Schlachtszenen auf spektakuläre Weise auf die Leinwand gewuchtet, und zum anderen zeigt er Bonaparte als einen kleinen Mann.
Gemeint ist dabei nicht unbedingt die Körpergrösse - Joaquin Phoenix ist vier Zentimeter grösser als die zu dieser Zeit vergleichsweise grossen 1,69 Meter von Bonaparte -, sondern sein Verhalten in Liebesdingen. Scott und Drehbuchautor David Scarpa zeichnen zwar ein Genie auf dem Schlachtfeld, das sich aber abseits davon sehr tapsig bewegt und verhält. Wie er seiner späteren Gattin bei ihrem ersten Treffen zuerst verstohlen Blicke zuwirft und sie dann mit seiner Uniform zu imponieren versucht, hat was von einem schüchternen Jungen, der zum ersten Mal mit seinem heimlichen Schulschatz spricht. Phoenix und Joséphine-Darstellerin Vanessa Kirby holen da einiges an Humor heraus.
Zur Lachfigur verkommt Napoleon aber nicht. Viel mehr zeigt der Film einen ziemlich widersprüchlichen Mann, was ja auch eine grosse Stärke von Christopher Nolans Oppenheimer war. Diese Vermenschlichung ist auch bitter nötig, da das Epos die Kindheit des späteren Herrschers komplett ausspart und es so zu Beginn schwierig ist, sich mit ihm einigermassen anzufreunden. Man könnte Scotts Film dabei fast als ein Sequel zum Klassiker von 1927 bezeichnen, da der Stummfilm von Abel Gance fast dort aufhört, wo dieses Epos beginnt - die Schlacht von Toulon kommt jedoch in beiden Werken vor.
Mit dieser Schlacht legt Scott auch gleich los. Wie man es vom Regisseur von Gladiator erwarten durfte, hat auch Napoleon ein paar blutige Details, die aber nicht abstossen, sondern dem Ganzen zusätzliche Wucht verleihen. Die ganz grossen Action-Highlights kommen aber später. Die Schlachten bei Austerlitz und Waterloo gehören zu den eindrücklichsten Szenen des Kinojahres. Das Produktionsbudget von 200 Millionen Dollar, das Apple zur Verfügung stellte, ist nicht nur da sichtbar, sondern auch in der Ausstattung in den Dialogszenen.
Historisch akkurat ist besonders die auf einem gefrorenen See feurig ausgetragene Austerlitz-Sequenz nicht wirklich. Darauf angesprochen, entgegnete Scott kürzlich, dass es das Ziel gewesen sei, einen unterhaltsamen Film zu schaffen - dazu gehört auch, dass alle Englisch sprechen, was nie verwirrend wird, obwohl auch Briten mitwirken. Die Rechnung geht auf: Napoleon ist mitreissendes Unterhaltungskino, das einen launischen, unberechenbaren und zuweilen auch ziemlich labilen Herrscher porträtiert und so auch perfekt die Zerbrechlichkeit von Frankreich nach der Revolution wiedergibt. Scott hat das Ganze in gerade einmal 62 Tagen abgedreht. Genauso, wie er am Set keine Zeit vergeudet hat, tut er dies auch nicht in den rappelvollen 158 Minuten. Vive Ridley Scott!