Die Nachbarn von oben (2023)

Die Nachbarn von oben (2023)

  1. 88 Minuten

Filmkritik: Wer ist hier der «Schluuch»?

Cue to the porn music.
Cue to the porn music. © Ascot Elite Entertainment Group. All Rights Reserved.

Alles ist bereit für den Besuch der Nachbarn: Anna (Ursina Lardi) hat sich herausgeputzt, die Schinkengipfeli sind im Ofen und der Wein steht bereit. Ehemann Tom (Roeland Wiesnekker) freut sich jedoch überhaupt nicht auf den Abend - am liebsten würde er alles sofort abblasen. Er ist genervt von Salvi (Maximilian Simonischek) und Lisa (Sarah Spale), deren Liebesspiele er sich seit deren Einzug ungewollt anhören muss. Doch eigentlich wäre es genau die richtige Gelegenheit, um diese Sache mit den nächtlichen Ruhestörern direkt zu besprechen.

Die Fronten haben sich verhärtet - hehe, härt…
Die Fronten haben sich verhärtet - hehe, härt… © Ascot Elite Entertainment Group. All Rights Reserved.

Der Abend beginnt mit typisch langweiligem Smalltalk - bis plötzlich das heikle Thema zur Sprache kommt. Was jedoch weder Anna noch Tom ahnen, ist, dass Lisa und Salvi den Abend nicht nur nutzen wollten, um sich für die stürmischen Nächte zu entschuldigen. Nein, sie haben auch ein pikantes Angebot für ihre Nachbarn mitgebracht - eines, das die Beziehung von Tom und Anna auf die Probe stellen wird.

Dank des Humors und der Besetzung ist Die Nachbarn von oben eine sehr einladende Schweizer Komödie. Der Cast glänzt mit Spielfreude, wobei Roeland Wiesnekkers Tom mit seiner «Läck mi doch am Arsch»-Attitüde die meisten Lacher verbuchen kann. Das ist vor allem zu Beginn sehr lustig und später bei den ernsteren Themen dann auch recht ehrlich. Bei diesen Nachbarn und ihren frechen Sprüchen schaut man sehr gerne vorbei.

Dass man heutzutage in der Schweiz durchaus offen über Sex reden kann, war in den vergangenen Jahren auch im Kino zu beobachten. Barbara Millers Dokumentation #Female Pleasure verzeichnete über 70'000 Ticketverkäufe, und auch Die goldenen Jahre, der zuvor als etwas lahme Rentnerkomödie abgetan wurde, überraschte mit einem erfrischend frechen und ehrlichen Umgang mit den Themen Body- und Sex-Life-Optimierung. Sabine Boss schlägt nun mit ihrem nicht minder unterhaltsamen Kammerspiel Die Nachbarn von oben in die gleiche Kerbe.

Es ist dabei eine Freude zuzusehen, wie sich Sarah Spale, Ursina Lardi, Roeland Wiesnekker und Maximilian Simonischek kleine Nickligkeiten an den Kopf werfen - bei dieser Besetzung könnte man glatt von der «Champions League der Schweizer Schauspielkunst» sprechen. Vor allem der Beginn gefällt, wenn der von Wiesnekker verkörperte Tom bünzlimässig zuerst lieber die Faust im Sack macht, bevor es dann aus ihm herausplatzt - und im Nachgang nicht nur bei ihm die aufgesetzte Maske fällt. Das Original stammt zwar aus Spanien, doch haben Boss und Drehbuchautor Alexander Seibt die Story clever für die Schweiz angepasst, sodass man einiges an dem Verhalten der Figuren aus den eigenen vier Wänden oder ausserhalb davon wiedererkennt.

Indem sich die Handlung fast ausschliesslich in denselben vier Wänden abspielt, die übrigens in einer Lagerhalle in Samstagern im Kanton Zürich aufwändig hochgezogen wurden, funktioniert der Film auch etwas wie ein Dampfkochtopf der aufgestauten Gefühle. Sind diese mal entwichen, werden sie durchaus ernstgenommen. Ja, es gibt hier einiges zu lachen, doch haben wir es hier nicht mit Clownfiguren zu tun, sondern vor allem im Fall von Lardis und Wiesnekkers Charakteren mit dreidimensionalen Figuren, die uns nicht egal sind.

Im Gegensatz dazu sind Spales Lisa und Simonischeks Salvi deutlich simpler und flacher. Dies liegt jedoch nicht an den beiden Castmitgliedern, sondern an ihren Figuren, denen es in der Beziehung und vor allem in Sexfragen ein bisschen zu optimal läuft. Spannend wäre gewesen, wenn sich auch bei ihnen ein paar Risse aufgetan hätten und es so zum vermehrten Schlagabtausch gekommen wäre. Stattdessen hat Die Nachbarn von oben gegen Ende hin etwas von einer Paartherapiesitzung - mit zwei Aufgebrachten und zwei ruhig Zuhörenden. Dabei wirft eine Partei einer anderen gerne das Wort «Schluuch» an den Kopf, wobei der Schimpfswortverteilende den wohl grössten «Schluuch» im Spiegel finden würde. Auch das hat was typisch Schweizerisches: Immer sind die anderen schuld, aber selbst ist man es nie.

Mit einer kompakten Inszenierung und einigen clever gewählten Kameraeinstellungen gelingt Boss der Spagat zwischen Komödie und Drama besser als zum Beispiel dem ähnlich gelagerten Das perfekte Geheimnis. Mit 88 Minuten hat das zudem gerade die richtige Länge, sodass beim Abspann noch genügend Zeit bleibt, um leicht-peinlich berührt und/oder gerührt im Kinosessel mit der Partnerin oder dem Partner über das Gesehene zu diskutieren.

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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Kommentare Total: 5

chr

Ein Kammerspiel auf ausserordentlich hohem lustigen Niveau, toll gespielt.

muri

Der Wiesnekker sollte eigentlich viel grösser sein, als er es ist. Der Kerl holt auch aus der lahmsten Szene das Maximum raus. Auch hier spielt er mit seiner Figur den Rest vielfach an die Wand und überzeugt auch in den schwachen Momenten des Films. Hätte (hätte, Fahrradkette) man damals den «Strähl» weitergezogen, die Schweiz (oder Züri?) hätte heute ein Franchise, das sich sehen lassen könnte.

In meiner Vorstellung waren heute etwa 10 Personen. Alle geschätzt über 60 und die Kommentare nach dem Film waren die erwarteten: «Ui, das war lustig», «Das hätte ich jetzt nicht vom Film erwartet» oder «Das ein Schweizer Film so frech sein kann». Während unsereiner also ab und zu Augenbraue und Mundwinkel hebt («Du Schluuch»), kommt die Story bei anderen, vielleicht nicht so fleissigen, Kinogängern besser an.

War aber okay. Für einen Schweizer Film sogar richtig okay.

crs

Filmkritik: Wer ist hier der «Schluuch»?

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