About Dry Grasses - Kuru Otlar Üstüne (2023)

About Dry Grasses - Kuru Otlar Üstüne (2023)

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  2. 197 Minuten

Filmkritik: Es war einmal mehr in Anatolien

76e Festival de Cannes 2023
Lieber Schneeflocken als Schuppen.
Lieber Schneeflocken als Schuppen. © Nuri Bilge Ceylan

In einem kleinen, einfachen Dorf im anatolischen Bergland arbeitet Samet (Deniz Celiloglu) als Primarlehrer. Dahin versetzt wurde er nicht freiwillig, und er hofft, auch nicht mehr lange zu bleiben, sondern bald eine Stelle in Istanbul anzutreten. Deshalb ist der Jungeselle auch nur mässig interessiert, als er über einen Bekannten die ebenfalls ledige Nuray (Merve Dizdar) kennenlernt. Da er sich selbst nicht an diesen Ort binden möchte, versucht er, seinen besten Freund Kenan (Musab Ekici) mit der attraktiven jungen Frau zu verkuppeln, die in einem Nachbardorf als Lehrerin arbeitet und seit einem Unfall ein amputiertes Bein hat.

In der Schule gerät Samet in diesem kalten und schneereichen Winter wegen einer obskuren Anschuldigung in die Bredouille. Er habe sich unangemessen verhalten gegenüber Schulkindern, so der Vorwurf seiner Vorgesetzten. Genaueres erfährt er nicht, zum Schutz der Kinder. Er will unbedingt herausfinden, wer und was hinter diesen Anschuldigungen steckt. Ob seine Lieblingsschülerin Sevim (Ece Bagci) etwas damit zu tun hat, zu der das Verhältnis gestört ist, seit ein Liebesbrief von ihr zufällig in seine Hände gefallen ist?

«Man muss sich darauf einlassen» - eine Binsenweisheit, die für viele Filme angewendet werden kann; doch selten passt sie so gut wie bei Nuri Bilge Ceylan. In bester Tradition seiner früheren Filme wie Once Upon A Time in Anatolia und Winter Sleep hat der Regisseur einen langen, sperrigen aber auch faszinierenden Film geschaffen. Mit bestechenden Aufnahmen, langen Dialogen und dezent, aber schön eingesetzter Musik zeichnet er ein vielschichtiges Bild des Lebens fernab von Urbanität. Nach dem eher schwachen The Wild Pear Tree wieder ein überzeugender Film des türkischen Autorenfilmers.

Man braucht ganz schön Geduld, bis die im Titel versprochenen «Dry Grasses» endlich zu sehen sind. Der überwältigend grosse Teil des Filmes spielt nämlich im tiefsten Winter in einer kargen, verschneiten Landschaft, bei der man sich irgendwo im hohen Norden wähnt; tatsächlich ist man aber im anatolischen Bergland, einer bevorzugten Location für Regisseur Nuri Bilge Ceylan, der hier beispielsweise auch seinen Goldene-Palme-Gewinner Winter Sleep von 2014 drehte.

Und wie man sich von Ceylans früheren Filmen gewohnt ist, hat der Regisseur auch hier ein Auge für grossartige Landschaftsaufnahmen. Neu ist im Vergleich zu den Vorgängerfilmen, dass er dabei nicht mit seinem Stamm-Kameramann Gökhan Tiryaki zusammenarbeitet. Doch die Bilder des neuen Kameraduos Cevahir Sahin und Kürsat Üresin stehen denen von Celyans früheren Filmen in nichts nach. Sie sind auch hier ein essentieller Bestandteil eines einmal mehr sperrigen Werkes, das sich mit über drei Stunden viel, sehr viel Zeit nimmt.

Ja, für seine langen Filme ist der türkische Regisseur bekannt - und von einigen Filmfans vielleicht auch gefürchtet. Denn eines seiner Markenzeichen sind lange Dialoge, die sich gerne über 20 bis 30 Minuten strecken können. Das ist auch hier der Fall. Allerdings hat dieser Film im Unterschied zum letzten Film des Regisseurs, The Wild Pear Tree, einen etwas greifbareren Plot, der ihn möglicherweise auch etwas zugänglicher macht. Allerdings hindert das den Regisseur nicht daran, immer wieder die Pausen-Taste zu drücken und Szenen richtig auszukosten.

Im Zentrum steht - auch dies typisch - ein Mann in einer Lebenskrise, aus der er nicht hinausfindet. Dieser Samet ist eine miesepetrige Figur, um nicht zu sagen: ein zuweilen unerträglich selbstgerechter und egoistischer Charakter, der auch einige «Dick Moves» im Repertoire hat. Selbst wenn man seine Ohnmacht gegenüber den anonymen Anschuldigungen verstehen kann, braucht es doch eine gewisse Bereitschaft, sich für knapp dreieinhalb Stunden auf einen solchen Menschen einzulassen. Wesentlich sympathischer ist da sein weiblicher Gegenpart Merve Dizdar; eine interessante und vielschichtige Frauenfigur und die heimliche Hauptfigur dieses Filmes.

Eines Filmes, der nach zweieinhalb Stunden eine kleine Überraschung bereithält. Eine Regieentscheidung, die unvermittelt kommt und nachher auch nicht vertieft oder weiter ausgeführt wird; und damit ein breites Interpretationspotenzial offen lässt. Die Szene wirkt ein wenig wie ein auffälliger Farbspritzer auf einem ansonsten makellosen Gemälde; oder in diesem Fall einem opulenten und facettenreichen Film-Gemälde, das sich trotz überlanger Laufzeit niemals träge anfühlt.

Simon Eberhard [ebe]

Aufgewachsen mit Indy, Bond und Bud Spencer, hatte Simon seine cineastische Erleuchtung als Teenager mit «Spiel mir das Lied vom Tod». Heute tingelt er durch Festivals und mag Krawallfilme genauso wie Artsy-Farts. Nur wenn jemand einen Film als «radikal» bezeichnet, rollt er genervt mit den Augen.

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Trailer Originalversion, mit deutschen und französischen Untertitel, 01:27