Fallen Leaves - Kuolleet lehdet (2023)

Fallen Leaves - Kuolleet lehdet (2023)

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  3. 81 Minuten

Filmkritik: Helsinki Blues

76e Festival de Cannes 2023
Der Film dauert nicht mal 90 Minuten, da lohnt es sich nicht, extra die Jacke auszuziehen.
Der Film dauert nicht mal 90 Minuten, da lohnt es sich nicht, extra die Jacke auszuziehen. © Sputnik

Die Supermarktkassiererin Ansa (Alma Pöysti) verliert ihren Job, weil sie dabei ertappt worden ist, abgelaufene Produkte mit sich nach Hause zu nehmen, anstatt diese wie vorgeschrieben zu entsorgen. Da sie ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen kann, ist sie gezwungen, den nächstbesten Job als Tellerwäscherin in einer dubiosen Bar anzunehmen. Derweilen kämpft der Schweisser Holappa (Jussi Vatanen) mit Alkoholproblemen und Depressionen und riskiert deswegen ebenfalls seinen Job.

Candlelight-Dinner ohne Candle.
Candlelight-Dinner ohne Candle. © Sputnik

Als sich die beiden introvertierten Aussenseiter an einer Karaoke-Veranstaltung zum ersten Mal sehen, sind sie sich auf Anhieb sympathisch - aber zu schüchtern, um einander anzusprechen. Da braucht es schon eine zweite und eine dritte zufällige Begegnung, bis sie endlich ins Gespräch kommen und sich auf ein Kino-Date verabreden. Langsam nähern sich die beiden einander an. Doch Holappas Alkoholsucht droht der sich anbahnenden Romanze im Weg zu stehen.

Mit Fallen Leaves gelingt Aki Kaurismäki gewissermassen der ultimative Kaurismäki-Film. Die Geschichte zweier einsamer Seelen, die durch Helsinki driften, ist gleichermassen cool wie herzerwärmend. Mit dem kongenialen Duo Alma Pöysti und Jussi Vatanen hat er auch vor der Kamera zwei Darsteller, die perfekt in ihre Rollen passen, und die Musik trägt ebenfalls ihren Teil zur Atmosphäre bei. Der Regisseur übertrifft damit sogar seine eigenen älteren Werke, von denen er sich hier unverkennbar hat inspirieren lassen. Eine wunderbar lakonische Romcom für einsame Introvertierte.

Griff Aki Kaurismäki in seinen neueren Filmen wie Le Havre und The Other Side of Hope vermehrt aktuelle politische Themen wie die Flüchtlingskrise auf, geht er in seinem neuesten Film nun wieder «full retro». Zwar ist die aktuelle geopolitische Lage auch hier präsent durch Radionachrichten über die neuesten Entwicklungen aus dem Ukrainekrieg - die von den ohnehin schon latent depressiven Charakteren aber entnervt ausgeschaltet werden.

Immerhin deuten diese Radionachrichten darauf hin, dass Fallen Leaves durchaus in der Gegenwart spielt. Denn ansonsten wirkt das Helsinki, das Kaurismäki hier zeichnet, wie irgendwo in den Achtziger- oder Neunzigerjahren steckengeblieben; in der Zeit also, in der Kaurismäki mit Filmen wie The Match Factory Girl oder Drifting Clouds die finnische Kapitale als Stadt der Melancholiker und verlorenen Seelen inszenierte. Eine seiner Stammschauspielerinnen war damals Kati Outinen. Diese ist in seinem neusten Film nicht dabei - doch zaubert der Regisseur mit Alma Pöysti eine neue Hauptdarstellerin aus dem Hut, die seiner Ex-Muse nicht nur äusserlich sehr ähnlich sieht, sondern auch deren gleichmütige Traurigkeit perfekt verkörpert.

Auch andere Kaurismäki-typische Elemente ziehen sich durch den Film; so beispielsweise der Gebrauch von Rock- und Popsongs als Soundtrack - und natürlich der reichliche Konsum von Alkohol. Man kann dem Regisseur ein Stückweit vorwerfen, dass er sich damit selbst kopiert. Doch wenn die Kopie fast noch besser ist als das Original, nimmt man dies gerne in Kauf. Denn er inszeniert die eigentlich simple Geschichte zweier einsamen Herzen, die den Weg zueinander suchen, mit diesem typischen Kaurismäki-Groove aus Atmosphäre, feinem Humor und Musik, und bevölkert diese Welt mit Verlierer-Charakteren am Rande der Gesellschaft, die man aber einfach ins Herz schliessen muss.

Zudem ist der Film auch eine kleine Liebeserklärung ans Kino, das in seinem Film einen wichtigen Verbindungspunkt zwischen den beiden Charakteren darstellt. Dabei zitiert er auch seinen alten Kumpan Jim Jarmusch mit einigen Ausschnitten aus dessen Zombiefilm The Dead Don't Die. So kommt sogar Adam Driver zu einem indirekten Cameoauftritt im neuen Kaurismäki-Film.

Simon Eberhard [ebe]

Aufgewachsen mit Indy, Bond und Bud Spencer, hatte Simon seine cineastische Erleuchtung als Teenager mit «Spiel mir das Lied vom Tod». Heute tingelt er durch Festivals und mag Krawallfilme genauso wie Artsy-Farts. Nur wenn jemand einen Film als «radikal» bezeichnet, rollt er genervt mit den Augen.

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