Die alte Hollywood-Doktrin, dass man bei jedem Sequel dem Publikum «mehr» bieten muss, wenden die Macher der John-Wick-Saga nicht nur bei der Anzahl Actionszenen, sondern auch bei der Laufzeit an. War der Erstling - auch aus Budgetgründen - noch ein 101-minütiger, gradliniger und simpler Kracher, ist das vierte Kapitel nun ein 169 Minuten langes Action-Epos, das sich unter anderem vor der asiatischen Kampfkunst und Italowestern-Grossmeister Sergio Leone verbeugt.
So breit wie das Ganze ausgewalzt wird, könnte man hier fast von «Overkill» reden - natürlich auch wegen der Anzahl Personen, die Keanu Reeves' Antiheld mit der bekannten Präzision ins Jenseits schickt. Auch der vierte Teil ist eine gloriose Aneinanderreihung von Actionszenen, wobei wir uns um die Titelfigur eigentlich nie richtig Sorgen machen müssen. Was Wick wieder alles überlebt und wie unfähig der Grossteil der gesichtslosen Assassinen agiert, ist hochgradig unglaubwürdig. Der Spannung hilft dies nicht gerade - was bei einem Film dieser Länge fatal ist.
Es ist deshalb den Drehbuchautoren Michael Finch und Shay Hatten hoch anzurechnen, dass sie zwei neue Figuren einführen, die den Film interessanter machen. Mit Shamier Andersons gewitztem Tracker und Donnie Yens sehr coolem Caine - wie die Figur des Schauspielers in Rogue One ein blinder Mann - bekommt es Wick mit zwei Gegnern zu tun, denen man durchaus die Daumen drückt.
Da sich die Lage gegen Ende immer mehr zuspitzt, entwickelt «Chapter 4» eine in der Reihe bisher nicht gekannte Intensität auf der Spannungsebene. Anteil daran hat auch Bill Skarsgård, der nach seinem Pennywise in It hier erneut eine fiese Figur verkörpert. Sein Marquis mag zwar rein physisch ein Würstchen sein, aber die Macht und die Ressourcen, hinter denen er sich versteckt, machen ihn auch wegen Skarsgårds schelmischen Grinsens so richtig hassenswert.
Trotzdem sind die 169 Minuten nicht abschliessend zu rechtfertigen. Ein nach Berlin führender Umweg ist ziemlich unnötig, und wenn ein Hindernis gleich zweimal hintereinander bewältigt werden muss, gibt das irgendwann keine Adrenalinschübe mehr, sondern führt eher zur Ermüdung. Doch jeder abfallenden Actionsequenz steht mindestens eine gegenüber, die zu den besten der Reihe gehört. Herauszuheben sind ein virtuoses Gefecht in Osaka, ein brachialer Häuserkampf mitten in Paris und eine höllische Kreisverkehrsszene, zu der es nur kommt, weil Reeves wie schon Tom Cruise in Mission: Impossible Fallout beim Arc de Triomphe das mit dem Rechtsverkehr nicht so genau nimmt.
Inszeniert ist das alles vorzüglich. John Wick: Chapter 4 ist von den Bildern und dem Sounddesign her der bisher schönste Film der Reihe und verdient die grosse Leinwand sowie ein Audiosystem, das man wie bei This Is Spinal Tap auf 11 hochschrauben kann. Jetzt gilt es einfach langsam zu bremsen. Denn dieser Teil ist fast schon des Guten zu viel und bei einem nächsten, wohl über dreistündigen Film hätten wir dann definitiv den «Overkill».