Alexander Payne bezeichnet sich selbst als grossen Fan der Siebzigerjahre. Die melancholischen Filme dieser Zeit haben es ihm sehr angetan, weshalb er in seinen eigenen Projekten jeweils das Gefühl einzufangen versucht, das er früher beim Schauen von Werken von Hal Ashby und Robert Altman hatte. Da überrascht es eigentlich, dass er erst mit seinem achten Langfilm, The Holdovers, einen Film inszeniert hat, der in den Siebzigern angesiedelt ist.
Handwerklich fühlt sich The Holdovers wie ein vergessen gegangener Film aus dieser Zeit an. Schon das auf Seventies getrimmte Fake-Logo von Focus Features - das Studio gibt es erst seit dem Jahr 2002 - versetzt einen sofort in die richtige Stimmung, während der Ton knackst und sich kleine Bildverunreinigungen bemerkbar machen, wie es sie früher am Anfang einer Filmrolle gab. Solche Spielereien gibt es jedoch nur ganz zu Beginn. Danach erinnern vor allem Szenenüberblendungen, der absichtlich wie Mono klingende Ton und natürlich die gewählten Musikstücke auf dem Soundtrack (darunter Cat Stevens und The Temptations) an die Zeit, in der die von Drehbuchautor David Hemingson erdachte Geschichte spielt.
Eine Geschichte, die trotz des Winter-Settings das Herz wärmt. Zu Beginn werden sich viele an die eigene Schulzeit zurückerinnern, wo man über das Lehrpersonal fluchte, das seinerseits aber mit Sprüchen ordentlich zurückgab. Paul Giamatti ist schlicht fabelhaft in der Rolle des Professors, der seine Aufgabe vor allem darin sieht, die reichen Schnösel von Schülern mit strengen Bewertungen und seiner intellektuellen Überlegenheit von ihren hohen Rössern zu holen.
Auch wenn dieser Professor Hunham ein ziemliches Ekel ist - und für seine Mitmenschen auch noch so riecht -, lernen wir ihn, wie auch den erstmals trötzeligen Schüler Angus und Küchenchefin Mary, über die Laufzeit der Tragikomödie besser kennen. Hunham sagt einmal: «Geschichte ist nicht nur das Studium der Vergangenheit, sondern auch eine Erklärung der Gegenwart.» Genau darum geht es bei The Holdovers. Um etwas - oder wie bei diesem Film - eine Person zu verstehen, müssen wir auch zurückschauen und realisieren, was zuvor war. So gehen selbst Streithähne aufeinander zu und verstehen, wieso das Gegenüber so ist, wie es ist.
Man kann das natürlich als sentimental abtun und für abgedroschen halten. Aber Payne nimmt das Publikum mit seiner ruhigen Inszenierung dermassen behutsam an der Hand, dass sich die Atmosphäre mit aller Melancholie einfach gut anfühlt. Mit Giamatti, Filmdebütant Dominic Sessa und Da'Vine Joy Randolph hat The Holdovers zudem einen superben Cast, mit dem man lachen, aber auch emotional mitgehen kann. Paynes Film erzählt nichts Weltbewegendes, aber diese kleine menschliche (Weihnachts-)Geschichte tut einfach der Seele gut. In diese Zeit darf der Regisseur jederzeit sehr gerne zurückkehren.