The Holdovers (2023)

The Holdovers (2023)

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  2. 133 Minuten

Filmkritik: Jingle Bells, Teacher Smells

48th Toronto International Film FestivalOscars 2024
Zu dritt ist man weniger allein.
Zu dritt ist man weniger allein. © Universal Pictures International Switzerland. All Rights Reserved.

USA, 1970: Die Schüler an einer Privatschule in New England können es kaum erwarten, die Weihnachtstage zuhause zu verbringen - endlich weg von den strengen Lehrern und dem lausigen Essen. Auch Angus Tully (Dominic Sessa) freut sich deshalb auf die Feiertage. Doch dann erhält er von seiner Mutter kurz vor der Abreise einen Anruf, dass sie mit ihrem neuen Freund Pläne gemacht habe. So muss Angus auch die kommenden zwei Wochen in der Schule verbringen. Er ist nicht der einzige: Auch vier weitere Schüler sind auf diese Weise gestraft.

Gefühlslage: frostig
Gefühlslage: frostig © Universal Pictures International Switzerland. All Rights Reserved.

Die Aufsicht hat über die Feiertage der griesgrämige und unbeliebte Professor Paul Hunham (Paul Giamatti). Just in dem Moment, als Angus denkt, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann, werden die anderen vier Schüler von einem reichen Vater zum Skifahren eingeladen. Weil Angus' Mutter telefonisch nicht erreichbar ist und somit nicht ihr Einverständnis für den Ski-Trip geben kann, steckt der brillante Schüler nun ganz alleine mit Hunham und der Chefköchin Mary (Da'Vine Joy Randolph) fest. Doch in den kommenden Tagen werden sie sich untereinander anfreunden.

Ein Film zum Gernhaben. The Holdovers ist trotz aller Melancholie ein berührender, warmherziger und lustiger Film darüber, wie Menschen aufeinander zugehen. Paul Giamatti zeigt als Professor eine seiner besten Performances, während Regisseur Alexander Payne mit seiner behutsamen Inszenierung und der gewählten Musik seine Tragikomödie sicher am Kitsch vorbeisteuert. Einfach nur schön.

Alexander Payne bezeichnet sich selbst als grossen Fan der Siebzigerjahre. Die melancholischen Filme dieser Zeit haben es ihm sehr angetan, weshalb er in seinen eigenen Projekten jeweils das Gefühl einzufangen versucht, das er früher beim Schauen von Werken von Hal Ashby und Robert Altman hatte. Da überrascht es eigentlich, dass er erst mit seinem achten Langfilm, The Holdovers, einen Film inszeniert hat, der in den Siebzigern angesiedelt ist.

Handwerklich fühlt sich The Holdovers wie ein vergessen gegangener Film aus dieser Zeit an. Schon das auf Seventies getrimmte Fake-Logo von Focus Features - das Studio gibt es erst seit dem Jahr 2002 - versetzt einen sofort in die richtige Stimmung, während der Ton knackst und sich kleine Bildverunreinigungen bemerkbar machen, wie es sie früher am Anfang einer Filmrolle gab. Solche Spielereien gibt es jedoch nur ganz zu Beginn. Danach erinnern vor allem Szenenüberblendungen, der absichtlich wie Mono klingende Ton und natürlich die gewählten Musikstücke auf dem Soundtrack (darunter Cat Stevens und The Temptations) an die Zeit, in der die von Drehbuchautor David Hemingson erdachte Geschichte spielt.

Eine Geschichte, die trotz des Winter-Settings das Herz wärmt. Zu Beginn werden sich viele an die eigene Schulzeit zurückerinnern, wo man über das Lehrpersonal fluchte, das seinerseits aber mit Sprüchen ordentlich zurückgab. Paul Giamatti ist schlicht fabelhaft in der Rolle des Professors, der seine Aufgabe vor allem darin sieht, die reichen Schnösel von Schülern mit strengen Bewertungen und seiner intellektuellen Überlegenheit von ihren hohen Rössern zu holen.

Auch wenn dieser Professor Hunham ein ziemliches Ekel ist - und für seine Mitmenschen auch noch so riecht -, lernen wir ihn, wie auch den erstmals trötzeligen Schüler Angus und Küchenchefin Mary, über die Laufzeit der Tragikomödie besser kennen. Hunham sagt einmal: «Geschichte ist nicht nur das Studium der Vergangenheit, sondern auch eine Erklärung der Gegenwart.» Genau darum geht es bei The Holdovers. Um etwas - oder wie bei diesem Film - eine Person zu verstehen, müssen wir auch zurückschauen und realisieren, was zuvor war. So gehen selbst Streithähne aufeinander zu und verstehen, wieso das Gegenüber so ist, wie es ist.

Man kann das natürlich als sentimental abtun und für abgedroschen halten. Aber Payne nimmt das Publikum mit seiner ruhigen Inszenierung dermassen behutsam an der Hand, dass sich die Atmosphäre mit aller Melancholie einfach gut anfühlt. Mit Giamatti, Filmdebütant Dominic Sessa und Da'Vine Joy Randolph hat The Holdovers zudem einen superben Cast, mit dem man lachen, aber auch emotional mitgehen kann. Paynes Film erzählt nichts Weltbewegendes, aber diese kleine menschliche (Weihnachts-)Geschichte tut einfach der Seele gut. In diese Zeit darf der Regisseur jederzeit sehr gerne zurückkehren.

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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