Goodbye Julia (2023)

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  2. 120 Minuten

Filmkritik: Durchs Schicksal verbunden

76e Festival de Cannes 2023
Die Farbe des Kleides ist auf die Blumen abgestimmt.
Die Farbe des Kleides ist auf die Blumen abgestimmt. © Studio / Produzent

Die ehemalige Sängerin Mona (Eiman Yousif) lebt ein privilegiertes Leben der gehobenen MIttelklasse in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Ihre grosse Leidenschaft, das Singen, hat sie ihrem strenggläubigen muslimischen Ehemann Akram (Nazar Goma) zuliebe aufgegeben - frönt dieser Leidenschaft aber weiter heimlich, indem sie, sicher getarnt im Niqab, Jazzkonzerte besucht oder im Auto Gesangsübungen macht.

Auf der Strasse zum Glück?
Auf der Strasse zum Glück? © Studio / Produzent

Doch eine Unachtsamkeit Monas beim Autofahren hat schwerwiegende Folgen und führt zu einer Kettenreaktion, die darin endet, dass ihr Gatte einen unbekannten Mann erschiesst. Dieser stammt aus dem Südsudan und gehört einer christlichen Minderheit an, die in Khartum in ärmlichen Verhältnissen lebt. Getrieben von Schuldgefühlen, macht Mona die Frau des Getöteten, Julia (Siran Riak), ausfindig und stellt diese als neues Dienstmädchen ein - ohne ihr zu sagen, wer sie ist. Indem sie Julia und deren Sohn finanziell unterstützt, hofft sie, ihre gefühlte Schuld wenigstens ansatzweise wieder gutzumachen. Doch was, wenn Julia hinter ihr Geheimnis kommt?

Ein guter Plot ist die halbe Miete: Goodbye Julia macht aus einer interessanten, wenn auch etwas konstruierten Ausgangslage ein spannendes Charakterdrama um Schuld und Vergebung vor dem Hintergrund des schwelenden Krieges im Sudan. Ganz stark sind dabei die beiden Hauptdarstellerinnen Eiman Yousif und Siran Riak als Mona und Julia. Trotz leichter Überlänge gelingt Mohamed Kordofani mit seinem Debüt ein eindringlicher Film, der emotional berührt, ohne ins Sentimentale abzudriften.

Die Handlung von Goodbye Julia spielt zwischen 2005 und 2010; kurz nachdem der zu dieser Zeit regierende Präsident Baschir einen Friedensvertrag mit dem Südsudan geschlossen hat. Doch die sozialen Spannungen sind allgegenwärtig: Die dunkelhäutigen Christen aus dem Südsudan leben in ghettoähnlichen Verhältnissen, während die muslimisch geprägte Bevölkerung in der Hauptstadt im vergleichsweisen Wohlstand lebt. So ist der Frieden sehr brüchig, denn die Menschen aus dem Südsudan pochen immer stärker auf ihre Autonomie; 2011 wird dann schliesslich die Unabhängigkeitserklärung folgen.

Der Film beginnt wie ein Actionthriller mit einer Verfolgungsjagd und einem Mann, der einen anderen Mann erschiesst; fortan stehen aber die beiden Frauen im Zentrum der Geschichte. Auch wenn der Titel den Fokus auf Julia legt, ist Mona die interessantere Figur der beiden - gerade weil sie differenziert gezeichnet ist. Sie ist eine selbstbewusste, moderne Frau, die ihre grosse Leidenschaft, das Singen, heimlich ausleben muss, da ihr misstrauischer Ehemann gerne mal ihr Handy kontrolliert. Eine Frau aber auch, die ihre eigenen Schuldgefühle durch Geld reinzuwaschen versucht. Die Hauptdarstellerin Eiman Yousif verkörpert diesen inneren Konflikt sehr nuanciert. Auch ihr Konterpart Siran Riak überzeugt als Julia, die, so erfahren wir im Verlauf des Filmes, auch nicht nur aus selbstlosen Motiven agiert.

Mit Goodbye Julia präsentiert der sudanesische Regisseur Mohamed Kordofani seinen ersten Langspielfilm. Mit zwei Stunden ist er ein bisschen lang geraten, gerade in der zweiten Hälfte. Dennoch überzeugt der Film dank seinen beiden Darstellerinnen und wirft ein Schlaglicht auf sein Heimatland. Ein Land, in dem der Krieg leider auch 15 Jahre später noch immer allgegenwärtig ist. Gerade deshalb ist der Film auf traurige Weise hochaktuell.

Simon Eberhard [ebe]

Aufgewachsen mit Indy, Bond und Bud Spencer, hatte Simon seine cineastische Erleuchtung als Teenager mit «Spiel mir das Lied vom Tod». Heute tingelt er durch Festivals und mag Krawallfilme genauso wie Artsy-Farts. Nur wenn jemand einen Film als «radikal» bezeichnet, rollt er genervt mit den Augen.

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