Flora and Son (2023)

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  3. 94 Minuten

Filmkritik: Die Junge mit der Gitarre

39th Sundance Film Festival
Ein transatlantisches Bündnis der musikalischen Art: Eve Hewson und Joseph Gordon-Levitt.
Ein transatlantisches Bündnis der musikalischen Art: Eve Hewson und Joseph Gordon-Levitt. © Courtesy of Sundance Institute

Flora (Eve Hewson) kommt als Kindermädchen in Dublin eher schlecht als recht über die Runden. Ihr Sohn Max (Orén Kinlan), den sie mit 17 bekommen hat, ist hochpubertär, und sie teilt sich das Sorgerecht mit ihrem tunichtguten Ex-Mann Ian (Jack Reynor), der bereits wieder eine Neue hat. Als sie in einer Abfallmulde eine Gitarre findet, möchte sie das Instrument dem musikbegeisterten Max schmackhaft machen. Doch der findet die Idee doof und kreiert lieber Rap und Beats am Compi.

Stattdessen beginnt Flora die Saiten anzuschlagen. Sie erkürt Jeff (Joseph Gordon-Levitt) zu ihrem Online-Lehrer und beginnt via Youtube-Tutorials und Chats mit dem Mann aus Los Angeles Akkorde zu üben und Lyrics zu deichseln. Dabei entwickelt sich auch das eine oder andere flirty-philosophische Gespräch. Schafft es Flora vielleicht doch noch, sich mit ihrem semi-kriminellen Sohn und dem Ex-Mann zu versöhnen qua Kraft der Musik?

Keiner macht lüpfigere Musikfilme als der Ire John Carney (Sing Street, Once). Eve Hewson ist eine Entdeckung als aufgewecktes Lästermaul, das hinter der taffen Fassade Herz und Rhythmusgefühl versteckt. Kein Wunder, bezirzt ihr Charme Joseph Gordon-Levitt in einer süssen Nebenrolle ozeanübergreifend und das Publikum gleichermassen in dieser Ode an die Kraft der Musik, die sogar Träume im Problembezirk powert.

Sie wohnt zwar in einer Schuhschachtelwohnung, aber als Teil des irischen Prekariats lässt sich Flora von niemandem einengen. Mal klaut sie sich ein Nötli aus dem Portemonnaie ihrer Arbeitgeberinnen als selbstauferlegten Bonus für die Kümmer-Arbeit. Mal geigt sie dem Ex-Mann die Meinung über seine Neue. Jeden Abend chlöpft es zudem mit ihrem Sohn, wenn die beiden kriegsähnlich Znacht- und andere Pläne für ihre gemeinsame Wohnsituation diskutieren sollten.

Was eine bittere Kitchen-sink-Figur hätte werden können, wird mit der plapperhaften Chuzpe, mit der Eve Hewson diese Flora spielt, eine begeisternde Darstellung mütterlicher Ermächtigung. Und weil John Carney Drehbuch und Regie übernimmt, spielt dabei die Musik eine tragende Rolle. Es ist zuerst nur eine Gitarre aus dem Müll, die aber bald schon einen transatlatischen Online-Flirt für Flora zur Folge hat - mit Gordon-Lewitt als kalifornischem Sunnyboy im Holzfällerhemd. Und nebenbei auch gleich noch viele andere Brüche in Floras Familien-Situation kittet - dank dem richtigen Ton, den hier alle plötzlich anschlagen, und der so anders ist als die Konfrontationen zu Beginn.

Bei Carney singen sich die Figuren aus jedem Schlamassel. Aber der Musikfachmann kann auch als Autor schnell, präzis und unterhaltsam Sachverhalte klären und Figuren zeichnen: beispielsweise, wenn Flora im Schnelldurchlauf ihren Online-Tutor castet; wenn ihr Ex Ian in der Beiz das richtige Getränk vor 12 Uhr bestellen muss; oder in den unterschiedlichen Behördengängen, die Flora wegen ihres vermeintlich unerzogenen Sprösslings bei Polizei und Justiz hinter sich bringen muss.

Ob man die Songs im Film mag, ist Nebensache. Der Rap von Orén Kinlan zum Beispiel ist supercheesy - aber er bekommt damit zumindest mal die Chance, die Influencer-Chicks anzuquatschen im Innenhof der irischen Blocksiedlung, in der Flora and Son meist spielt. Auch da heiligt der Zweck die Mittel. Denn der Optimismus in Carneys Sozio-Musical ist so simpel wie ansteckend, davor sind auch Folkrock-Muffel nicht gefeit.

Roland Meier [rm]

Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.

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