Heute kann man mit Unterstützung der Wundermittel der Technik ja vieles be- und nachweisen, was man früher nur vermuten konnte. Was jedoch ein Mysterium zu bleiben scheint, ist die Liebe. Mit Logik oder Messgeräten kommt man da nicht weit. Im Gedankenexperiment namens Fingernails, dem US-Debüt des Griechen Christos Nikou (Apples), bietet ein Institut nun aber Gewissheit an. Vor allem eine Maschine, die Fingernägel analysiert, sagt, ob eine Beziehung mit zu 0, 50 oder 100 Prozent wahrer Liebe gesegnet ist. Obwohl das wenig romantisch klingt, ist der Film jedoch genau dies: äusserst romantisch.
Die Alarmglocken sollten ja eigentlich schon klingen, wenn man sich als Paar überlegt, ein solches Institut überhaupt aufzusuchen. So geht es in Fingernails in erster Linie um fragile Beziehungen und die Verunsicherung, die in Liebesdingen wahnsinnig machen kann. Liebt er oder sie mich (noch)? Bei Anna und Ryan schürt Nikou vor allem durch die Ausleuchtung grosse Zweifel. Fast alle Szenen mit den beiden sind sehr schummrig beleuchtet. Ein Hinweis, dass die Liebe bald zu erlöschen droht? Anna und Arbeitskollege Amir interagieren im Gegensatz dazu meistens in gut ausgeleuchteten Räumen.
Auch mit den Dialogen steuert Nikou die Sympathien des Publikums, wobei dieses - wie die Fingernägel-Analyse-Maschine - die (potenziellen) Paare mit Prozentzahlen bewertet. Der maschinell durchgeführte Liebestest funktioniert übrigens nur mit ausgerissenen Fingernägeln. Wir sehen zwar nie explizit, wie ein Nagel sich von einem Finger verabschiedet, doch reichen die Schreie der Figuren schon, um den Zuschauerinnen und Zuschauern den Schauer über den Rücken zu jagen.
Mit diesen schmerzhaften Szenen und den verschrobenen Charakteren erinnert Fingernails zwischendurch an die Werke von Nikous Landsmann Yorgos Lanthimos (The Lobster, Poor Things). Doch Nikou beweist nach Apples auch hier, dass er der grössere Romantiker ist. Besonders dank der tollen Chemie zwischen Jessie Buckley und Riz Ahmed ist Fingernails immer wieder zum Dahinschmelzen herzig, berührend und schön.
Die Welt, in der diese ungewöhnliche romantische Tragikomödie spielt, lässt sich übrigens zeitlich gar nicht so leicht festmachen. Durch das Institut tendiert man zunächst dazu, den Film in einer «nicht allzu weit entfernten Zukunft» anzusiedeln. Jedoch gibt es keine Smartphones oder Flachbildschirme, während den Figuren aber popkulturelle Phänomene wie Forrest Gump, Titanic oder «Ginger Spice» bekannt sind und sich in Amirs Wohnung DVDs (aber keine Blu-rays!) finden lassen. Zeitlich ist das sehr schwer zu fassen, was aber passt. Denn auch bei der Liebe scheint man eine gewisse Ahnung zu haben, ohne sich je ganz sicher zu sein. Auch deshalb sollte man sich in diese (Gefühls-)Welt einfach fallenlassen. Zwar braucht es wegen des nüchternen Beginns etwas Eingewöhnungszeit, aber danach stiehlt der Film dem Publikum das Herz. Hätte dieser Film Fingernägel, würde die Maschine im Vergleich mit uns einen Liebes-Wert von 100 Prozent ausspucken.