The Buriti Flower - Crowrã (2023)

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  3. 123 Minuten

Filmkritik: Bitte unsere Heimat nicht kaputtmachen, dankeschön

76e Festival de Cannes 2023
Ein ungewisser Blick in die Zukunft
Ein ungewisser Blick in die Zukunft © Karô Filmes, Entre Filmes

Die Krahô leben im Nordosten Brasiliens im Herzen des Regenwaldes. Wie bei vielen anderen indigenen Völkern sind auch bei ihnen die vergangenen hundert Jahre eine Leidensgeschichte. So wurden sie von den cupe, wie sie die nicht-indigenen Menschen nennen, immer mehr zurückgedrängt, weil diese Weideflächen für ihre Rinder benötigten. Ein schreckliches Massaker im Jahr 1940 prägt ihre Erinnerung bis heute. Und damit diese nicht verloren geht, erzählen die Stammesanführer ihre Geschichte den nachfolgenden Generationen weiter.

Pause muss auch mal sein.
Pause muss auch mal sein. © Karô Filmes, Entre Filmes

Einer von ihnen ist Hyjnõ (Francisco Hyjno Krahô), dessen Frau Crowrã (Luzia Cruwakwyj Krahô) gerade schwanger ist. Er lehrt sein Volk die Liebe zur Natur, die Traditionen des Stammes und den Widerstand gegen die Besatzer. Dabei reist er auch zusammen mit seiner Nichte Patpro (Luzia Cruwakwyj Krahô) nach Brasilia, um zusammen mit anderen unterdrückten indigenen Völkern gegen die Regierung des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro zu demonstrieren.

Wenn auch Bruno Manser in einer völlig anderen Weltregion unterwegs war - die Geschichten von brutaler Unterdrückung und dem Kampf um die Rechte ähneln sich bei vielen indigenen Völkern. The Buriti Flower wirft ein Scheinwerferlicht auf das Beispiel der brasilianischen Krahô. Er bietet dabei den trotz guter Absichten nie ganz unproblematischen westlichen Blick auf eine für uns fremde Welt. Wegen einer wenig fokussierten Erzählweise fühlen sich diese zwei Stunden allerdings sehr lang an.

Die Liebe zur Natur und der bewusste Umgang mit deren Ressourcen sind heute durchaus (wieder) zeitgemäss. Die Krahô leben diese Werte seit Jahrzehnten. Der Einstieg von The Buriti Flower zeigt ein indigenes Volk, das seine Bräuche und Riten pflegt und damit fernab scheint von der westlichen Zivilisation. Doch ganz kann man sich dieser auch hier nicht entziehen. So haben inzwischen auch Smarthpohnes ins Leben der Krahô Einzug gehalten und werden fleissig genutzt, um sich zu vernetzen und den Widerstand gegen die Regierung zu koordinieren.

Den Kontrast zwischen diesen beiden Welten stellt der Film ansprechend dar. Im semidokumentarischen Stil erzählt er die Geschichte dieses indigenen Volkes und wirkt so auch als Multiplikator für das Ansinnen, die schrecklichen Geschehnisse in der Vergangenheit weiterzuerzählen und die Erinnerung nicht verblassen zu lassen. In Form einer Rückblende arbeitet der Film auch das blutige Massaker an den Krahô vor 80 Jahren auf - und ruft damit wieder einmal die Verbrechen in Erinnerung, die die westlichen Kolonialisten damals begingen.

Dadurch, dass er mehrere Zeitebenen miteinander verwebt, gleichzeitig aber einen beobachtenden, dokumentarischen Ansatz verfolgt, gerät der Film allerdings in einen dramaturgischen Zielkonflikt: Soll er nun eine Geschichte erzählen, oder soll er dokumentieren? Diesen Konflikt kann The Buriti Flower während der gesamten zwei Stunden nicht lösen. Aus Storytelling-Sicht ist der Handlungsrahmen mit der Schwangerschaft von Crowrã zu dürftig für diese Filmlänge; aus Dokumentationssicht hingegen ist der Film zu wenig informativ und schafft es zu wenig, dem Publikum Hintergrund und Zusammenhänge zu vermitteln.

So zeigt der Film viel folkloristischen Leerlauf. Die Tatsache dass das Regieduo Renée Nader Messora und João Salaviza selbst cupe - nicht-indigen - ist, zeigt zudem eine grundsätzliche Schwierigkeit solcher Filme: Ist dies nun eine Form von kultureller Aneignung, als eine Art «White Savior» die Anliegen dieses Stammes der Welt zu präsentieren? Oder ist es ein wertvoller Beitrag zur interkulturellen Verständigung? The Buriti Flower schafft es nicht, den Beweis zu erbringen, dass Letzteres der Fall ist. Dass die indigenen Völker (nicht nur) in der Vergangenheit ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden, ist zwar nach wie vor skandalös, aber keine neue Erkenntnis. Immerhin ist der Film in einer Hinsicht inzwischen von der Realität überholt: Die Bolsonaro-Regierung ist in Brasilien mittlerweile abgewählt. Der Kampf der indigenen Völker für ihre Rechte dürfte aber deswegen noch lange nicht zu Ende sein.

Simon Eberhard [ebe]

Aufgewachsen mit Indy, Bond und Bud Spencer, hatte Simon seine cineastische Erleuchtung als Teenager mit «Spiel mir das Lied vom Tod». Heute tingelt er durch Festivals und mag Krawallfilme genauso wie Artsy-Farts. Nur wenn jemand einen Film als «radikal» bezeichnet, rollt er genervt mit den Augen.

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