C'è ancora domani (2023)

C'è ancora domani (2023)

  1. ,
  2. 118 Minuten

Filmkritik: L'ordine divino

Blick in eine bessere Zukunft.
Blick in eine bessere Zukunft. © MFD Morandini Film Distribution

Anstatt mit einem «Guten Morgen!» beginnt ihr Tag mit einer zünftigen Ohrfeige. Delia (Paola Cortellesi) muss von ihrem Ehemann Ivano (Valerio Mastandrea) täglich körperliche Gewalt über sich ergehen lassen. Trotzdem fügt sich die Mutter dreier Kinder duldsam ihrem Schicksal und versucht, das Beste daraus zu machen in dieser bescheidenen Kellerwohnung, in der die Familie im Rom von 1946 lebt. Neben ihrem Mann muss Delia auch noch den despotischen, bettlägerigen Schwiegervater Ottorino (Giorgio Colangeli) pflegen, der bei der Familie wohnt, seit er sein Haus verloren hat.

Der Mann ist der Bass - aber wie lange noch?
Der Mann ist der Bass - aber wie lange noch? © MFD Morandini Film Distribution

Doch die Stadt befindet sich im Wandel. Italien ist kürzlich vom Faschismus befreit worden, amerikanische Truppen sind in der Stadt stationiert, und durch die Strassen weht ein Hauch von Freiheit. Eines Tages erhält Delia einen mysteriösen Brief - ausgerechnet sie, die sonst nie Post erhält. Der Brief verheisst ihr einen Ausbruch aus ihrem bisherigen Leben und damit auch eine Befreiung von der Kontrolle ihres Mannes und ihres Schwiegervaters. Doch wird sie es schaffen, den Brief vor ihrem Mann geheimzuhalten und ihren Plan umzusetzen?

Für einen Film, der mit dem Prädikat «Publikums-Hit!» zu uns kommt, ist C'è ancora domani erstaunlich bedrückend - gerade wenn man eine Komödie erwartet. Der Hoffnungsschweif kommt erst in den finalen 30 Minuten, nachdem man zuvor während eineinhalb Stunden hat dabei zusehen müssen, wie die Protagonistin Delia von ihrem Mann vermöbelt wird. Gerade deswegen ist Paola Cortellesis Film aber auch eindringlicher als beispielsweise Die göttliche Ordnung. Der Regisseurin, die auch in der Hauptrolle brilliert, gelingt ein überzeugendes und angenehm undogmatisches Regiedebüt über weibliche Selbstbestimmung.

Nun kommt die «göttliche Ordnung» also auch in Italien ins Wanken. Wie schon 2017 das Schweizer Pendant, wirft der Film von Paola Cortellesi einen kritischen Blick auf die patriarchalische Gesellschaftsordnung vergangener Jahrzehnte, tut dies jedoch nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit einer guten Portion Humor. Und wie Petra Volpes Film hierzulande entwickelte sich auch C'è ancora domani bei unseren südlichen Nachbarinnen und Nachbarn zum veritablen Crowdpleaser: Er stand während sieben Wochen an der Spitze der Kinocharts und wurde mit 5 Millionen Besucherinnen und Besuchern zum Publikumshit 2023 - womit er sogar Barbie und Oppenheimer hinter sich liess.

Offensichtlich scheint Paola Cortellesi in ihrem Regiedebüt also einen Nerv getroffen zu haben. In ihrem Film - gedreht in Schwarz-Weiss und so ein wenig angelehnt an den italienischen Neorealismus aus jener Zeit - befreit sie den Blick in die Vergangenheit von jeglicher Nostalgie. Früher war eben nicht alles besser, schon gar nicht für Frauen, die auf die Frage, warum der offensichtlich in jeder Hinsicht schlechter qualifizierte Arbeitskollege mehr Lohn kriegt, schulterzuckend die Antwort kriegen: «Na, weil er ein Mann ist halt!»

Es hat viele solche Szenen in diesem Film, in dem manchmal überdeutlich, manchmal subtil die patriarchalisch geprägte Gesellschaft im Italien der 1940er-Jahre durchscheint. Schwer zu ertragen ist zuweilen die körperliche Gewalt, die Delia über sich ergehen lassen muss. Die Regisseurin inszeniert diese zwar teilweise auf verspielte Art, beispielsweise in Form einer Tanz-Szene. Sie schlägt dem Publikum aber um so mehr aufs Gemüt - die physischen Schmerzen sind beinahe spürbar.

Und da zeigt sich ein Unterschied zu Die göttliche Ordnung: Cortellesis Film ist bedeutend nachdenklicher. Der durchaus vorhandene Humor kommt leise und lakonisch daher, beispielsweise, indem einzelne Szenen dermassen übertrieben dargestellt werden, dass man als Zuschauerin oder Zuschauer nicht anders kann, als darüber zu schmunzeln.

Überragend ist die Regisseurin auch in der Hauptrolle, die sie selbst übernommen hat: Trotz der Misshandlungen, der sie sich täglich ausgesetzt sieht, bewahrt ihre Delia eine gelassene Würde. Cortellesi gelingt es hervorragend, mit ihrer Mimik die Gefühle ihrer Figur darzustellen, gerade in der zweiten Filmhälfte. Bis zum Ende - das sogar noch einen schönen kleinen Twist bereithält - macht die Protagonistin eine Entwicklung durch. C'è ancora domani schafft es ausgezeichnet, das Publikum daran teilhaben zu lassen.

Simon Eberhard [ebe]

Aufgewachsen mit Indy, Bond und Bud Spencer, hatte Simon seine cineastische Erleuchtung als Teenager mit «Spiel mir das Lied vom Tod». Heute tingelt er durch Festivals und mag Krawallfilme genauso wie Artsy-Farts. Nur wenn jemand einen Film als «radikal» bezeichnet, rollt er genervt mit den Augen.

  1. Artikel
  2. Profil
  3. E-Mail
  4. facebook
  5. Twitter
  6. Instagram
  7. Letterboxd
Trailer Italienisch mit deutschen Untertitel, 2:21 © MFD Morandini Film Distribution