Norbert Wiedmer befasst sich in seiner Dokumentation Bratsch - Ein Dorf macht Schule mit dem Schulsystem in Bratsch im Wallis. Hier hat es sich Damian Gsponer zum Ziel gemacht, mit den üblichen Konventionen des staatlichen Schulsystems zu brechen und eine Alternative zu entwickeln, welche durch und durch auf die Bedürfnisse der Kinder abgestimmt ist. Viele Menschen assoziieren mit ihrer schulischen Laufbahn negative Erinnerungen: Leistungsdruck, Noten, nicht interessante Themen, Hausaufgaben oder Strafarbeiten. Eine Schule fürs Leben stellt dieses System kaum dar, in welchem Voci und Formeln für die Prüfungen auswendig gelernt werden müssen, nur um sie anschliessend schnellstmöglich wieder zu vergessen.
Aufgrund seiner - den eigenen Aussagen nach - unbefriedigenden Erfahrungen mit dem konventionellen Schulsystem entwickelte sich die Idee und das Konzept seiner pädagogischen Herangehensweise an seine schulische Ausbildung, welche das Kind und nicht einen Lehrplan in den Fokus stellt. Dieser Pionierarbeit, welche Gsponer leistete, wird in dieser Dokumentation Rechnung getragen und verfolgt den Schulleiter sowie seine Klasse von Beginn an bis ins Jahr 2022. Und wie Gsponders Konzept es vorsieht, erklärt er seine Vision und seine Beweggründe (beispielsweise in TV-Interviews), meist wird aber auch hier den Kindern der Vortritt gelassen. Sie sind es, welche ihre Projekte erklären, ihre Erfahrungen mit dem Schulsystem mitteilen dürfen und die Dokumentation tragen. Es geht um die Kinder, um den Gewinn, welchen sie daraus erzielen können.
Die Dokumentation greift pädagogisch wichtige und wertvolle Themen auf und bearbeitet diese auf eine einleuchtende Art und Weise. Stets werden die positiven Aspekte und Errungenschaften durch Individualität, die Beteiligung und Mitsprache, den Erwerb von Selbstständigkeit der Kinder thematisiert und aufgezeigt. Die Ehrlichkeit und Offenheit der Kinder versetzt die Dokumentation mit einer gehörigen Prise Humor und bringt auch das Publikum zum Lachen und Schmunzeln, was ihr zu einer gewissen Leichtigkeit verhilft. Ankreiden mag man ihr höchstens, dass sie die Kinder phasenweise etwas zu sehr zu Erwachsenen hochstilisiert, wenn diese eine Sitzung mit dem Gemeindepräsident leiten und unklar bleibt, ob dies nicht möglicherweise zu inszenatorischen Zwecken erfolgte.
Der Umgang mit den Behörden und die durch diese aufgebahrten Hürden werden angeschnitten, hätten aber noch etwas konkreter behandelt werden dürfen, ebenso die Hintergründe, wie genau die Umsetzung der Verknüpfung von Theorie und Praxis abläuft. Hier wären genauere Erläuterungen sinnvoll und interessant gewesen. So fehlen der Dokumentation kleine, erläuternde Passagen, was das Publikum etwas im Ungewissen lässt.
Bratsch - Ein Dorf macht Schule ist eine sehenswerte, äusserst interessante Dokumentation, welche zum Nach- und hoffentlich Umdenken anregt. Das Monopol «staatliches Schulsystem» muss sich eine immer lauter werdende Frage gefallen lassen: Schule, weshalb nicht nur noch so?