Bon Schuur Ticino (2023)

Bon Schuur Ticino (2023)

  1. 88 Minuten

Filmkritik: Die spinnen, les Suisses!

«Je m'appelle Velogschtell.»
«Je m'appelle Velogschtell.» © DCM

Walter Egli (Beat Schlatter) ist Bundespolizist ohne Leidenschaft und Ambitionen. Als die Schweiz in einer Volksabstimmung entscheidet, dass das Land künftig einsprachig werden soll - und, zum grossen Schock der Bevölkerung, Französisch - gerät sein tristes Dasein zünftig ins Wanken. Denn Walters Französisch ist alles andere als «à jour». Als Mitarbeiter eines Bundesbetriebs muss er aber mithelfen, die neuen Regelungen umzusetzen und dabei wird von ihm ein gewisses Niveau an Französisch-Kenntnissen erwartet.

«Und SVP steht künftig nur noch für 's'il vous plaît'!»
«Und SVP steht künftig nur noch für 's'il vous plaît'!» © DCM

Dass er mit diesen Neuerungen zu kämpfen hat, fällt auch schnell seinem Vorgesetzten auf. Verzweifelt besucht Walter einen Sprachkurs, um seinen Job nicht zu verlieren - ohne viel Erfolg. Als letzte Chance schickt ihn sein Kommandant schliesslich nach Locarno, um eine Partisanengruppe aufzudecken, die gegen die Einsprachigkeit rebelliert und versucht ein unabhängiges Tessin aufzubauen. Mit einem mürrischen Westschweizer Kollegen (Vincent Kucholl) im Schlepptau geht Walter undercover und lernt an einer Demonstration die lebhafte Francesca (Catherine Gamboni) kennen - eine der gesuchten Separatist*innen. Um ihrer Organisation näher zu kommen, beginnt er ein Doppelleben zu führen. Mit explosiven Folgen.

Mit Bon Schuur Ticino hat Peter Luisi eine lustige, leichtfüssige Komödie erschaffen, die man leider viel zu selten im Kino antrifft. Die originelle Prämisse liefert dabei Situationskomik am Laufmeter. Ergänzt durch witzige Dialoge und ulkige Figuren - unter anderem Beat Schlatter als herrlich abgelöschter Polizist -, wird der Film selbst die grummeligsten Zuschauer mit einem Lächeln aus dem Kino entlassen.

Es ist der Albtraum aller, die in der Schule auf Kriegspfad mit dem Französischunterricht waren: Français als offizielle und einzige Landessprache in der Schweiz! Man stelle sich vor, dass Sascha Rufer die Nati im RTS auf Französisch anfeuert, Roger Köppel in der «Semaine du Monde» sich über «les immigrants» auslässt, man beim Bäcker statt einem Gipfeli ein Croissant bestellen muss und in der Migros eine Quiche statt ein Stück Wähe kauft. Was wie ein Horrorfilm klingt, ist aber eine Komödie - und eine sehr lustige dazu. Die Rede ist von Bon Schuur Ticino, Peter Luisis und Beat Schlatters neuem Film, welcher nicht nur mit seiner urkomischen Prämisse den Nerv der Nation treffen dürfte, sondern auch mit viel Leichtigkeit und Witz auf charmante Weise lokale Klischees auseinandernimmt, indem er sie zugleich zelebriert und sich gekonnt darüber lustig macht.

Diese Stereotypen werden perfekt vom grossartig gecasteten Ensemble verkörpert. Beat Schlatter spielt den stereotypen Deutschschweizer perfekt: einen leicht angebünzelten, aber trotzdem liebenswerten Polizisten, der aus seiner Komfortzone herausgerissen wird und plötzlich merkt, wie stagnant und lieblos sein Leben ist. Schlatter wird unterstützt durch ebenso schrullige wie witzige Nebencharaktere, darunter Catherine Pagani als lebensfrohe und temperamentvolle Tessinerin und Vincent Kucholl als versnobter Agent aus der Romandie. Es wird fast kein Klischee ausgelassen - was man dem Film aber nicht übelnehmen kann, denn er nimmt seine Figuren überraschend ernst und zieht sie nie ins Lächerliche. Dies kommt auch Vincent Kucholl zu Gute, der laut Luisi viele der französisch-sprachigen Dialoge überarbeitet hat. Der heimliche Star des Films ist aber Silvia Jost, die als Schlatters Mutter einer Untergrundorganisation beitritt und so als «Terror-Grosi» Chaos im Lande stiftet und damit für einige der grössten Lacher des Filmes sorgt.

Komödien sind allgemein weniger bekannt für ihre Machart oder schöne Bilder. Hier scheint Bon Schuur Ticino geradezu «Wer braucht schon Roger Federer, um die Schweiz ins schönste Licht zu rücken?» zu sagen und liefert einen Film mit einer Produktionsqualität, die jeden My-Switzerland-Spot alt aussehen lässt: ein weiteres Argument, den Film auf der Grossleinwand im Kino anzuschauen.

Neben all dem Klamauk und dem rasanten Erzähltempo ist Bon Schuur Ticino aber auch ein melancholischer Film, der sich ernsthaft mit existentiellen Problemen eines Menschen auseinandersetzt, der sich im eigenen Leben verloren hat und im fortgeschrittenen Alter ausloten muss, was er mit seinem Leben anstellen will - ein Dilemma, das vielen aus dem Herzen sprechen dürfte. Die nachdenklicheren Momenten mit der hoffnungsvoll schönen Message, dass es nie zu spät ist, sich selbst neu zu erfinden, runden den Film perfekt ab und machen Bon Schuur Ticino zu einem sympathischen und wohligen Kinospass für die ganze Familie.

Linda Mullan [ljm]

Wollte wegen Indiana Jones eigentlich Archäologin werden, gräbt heute aber vor allem Perlen (manchmal auch Relikte) an Filmfestivals aus. Mag religiöse Filme von Alderaan, Hogwarts und Mittelerde und fand Jane-Austen-Adaptionen schon vor «Bridgerton» cool. Macht gerne zu Geschichtsdokus Nickerchen.

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Trailer Schweizerdeutsch, 02:12