Black Flies (2023)

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Filmkritik: (Halb-)Gott in Schwarz

76e Festival de Cannes 2023
Der Alte und der Neue.
Der Alte und der Neue. © David Ungaro

Der junge Rettungssanitäter Ollie Cross (Tye Sheridan) tritt seinen Dienst in New York an. Es ist ein hartes Pflaster, auf dem die Einsatzkräfte oft wegen Schusswunden oder anderen schlimmen Dingen ausrücken müssen. Und obwohl sie eigentlich nur helfen wollen, werden sie nicht selten auch selbst attackiert. Immerhin bekommt Ollie von seinem Vorgesetzten Chief Burroughs (Mike Tyson) mit dem alten Rutkovsky (Sean Penn) einen erfahrenen Partner an die Seite gestellt, mit dem der Neuling im Rettungswagen durch die dreckigen Strassen fährt.

Doch je länger Ollie den Job ausübt, desto mehr macht ihm das aus nächster Nähe gesehene Elend zu Schaffen. Sein stressiger Job belastet ihn auch in seiner Freizeit, da er einfach nicht abschalten und sich erholen kann. Und auch Rutkovsky wird immer mehr zum Problemfall. Schon bald entscheiden die Sanitäter mit ihrem Handeln selber über Leben und Tod.

Black Flies will sein Publikum mit seinen Bildern, dem lauten Ton und den gezeigten harten Schicksalen fertigmachen. Regisseur Jean-Stéphane Sauvaire schickt uns mit Tye Sheridan und Sean Penn als Sanitätskräfte durch die Hölle New York City, sodass man am Ende mehr als nur ein bisschen gerädert ist. Mit der Subtilität nimmt es der Film jedoch nicht so genau, und auch die Frauenfiguren sind in ihrer dünnen Charakterzeichnung fast schon peinlich. Trotzdem ein intensiver Filmeinsatz.

Fast so laut wie die Sirene des Krankenwagens hier heult, kracht Black Flies durch den Bechdel-Test. Die Frauenfiguren in dem Sanitätsdrama des Franzosen Jean-Stéphane Sauvaire (A Prayer Before Dawn) lassen sich in Ex-Frau, Bettgespielin und Drogensüchtige einteilen. Für einen Film aus dem Jahre 2023 ein ziemliches No-Go. Dafür vermittelt der Film sehr realitätsnah, roh und dadurch auch überzeugend ein krasses Bild eines brutalen Arbeitsalltages. Beim Abspann - oder auch schon vorher - realisiert man wieder, wie hohl und nichtsbedeutend die Balkon-Beklatschungen für das Gesundheitspersonal während der Coronapandemie waren.

Denn Black Flies funktioniert auch als Anklage, wie schlecht bezahlt Einsatzkräfte sind - obwohl sie jeden Tag wortwörtlich Leben retten. Sauvaire inszeniert das als zweistündigen Stresstest und Frontalangriff auf die Sinne - vor allem beim Sounddesign, das Erinnerungen an die Safdies-Werke Good Time und Uncut Gems wach werden lässt. Blinkende Farben, krasse Töne und kaputte Menschen sind die Zutaten, die auf Dauer sehr belastend sein können. Aber Sauvaire möchte uns spüren lassen, wie die Sanitäter empfinden und dreht bei der Inszenierung deshalb alle Schalter auf Zwölf.

Subtil ist das nicht. So auch die Tatsache, dass Tye Sheridans junger Sanitäter, an dessen Fersen wir uns heften, eine Jacke mit aufgestickten Engelsflügen trägt. Wie schnell klar wird, ist man in diesem Job aber selten ein Rettungsengel, sondern spielt eher Gott. Die im Film gezeigten Retter sind dermassen psychisch kaputt, dass sie überlegen, ob es sich wirklich lohnt, die Person am Leben zu erhalten, die bei ihnen im Auto liegt.

Leicht verdaulich ist anders. "Wer kein Blut sehen kann, sollte einen grossen Bogen um den Film machen. Es wird geschrien, geblutet, gelitten, gebetet und gestorben. Was das Hauptdarsteller-Duo betrifft, hat das Casting-Departement erstklassige Arbeit geleistet. Sheridan erinnert mit seiner Art und seinem Gesicht an ein Milchbubi, das im Verlaufe immer mehr seine Unschuld verliert. An seiner Seite verkörpert Sean Penn mit seinem zerknautschen Gesicht einen Mann, der schon zu viel gesehen hat. Die beiden tragen den Film auf ihren Schultern und machen einen fabelhaften Job.

Da der Film wie die Protagonisten von Einsatz zu Einsatz eilt, gibt es kaum Verschnaufpausen, sodass keine Langeweile aufkommen kann. Die Symbolik ist jedoch dermassen offensichtlich, dass sie einem regelrecht über den Kopf geschlagen wird. Zum Glück muss man deswegen am Ende keinen Krankenwagen rufen - denn gefühlt man zuvor zwei Stunden lang auf einer cineastischen Intensivstation.

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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