Bâtiment 5 (2023)

Bâtiment 5 (2023)

Les Indésirables
  1. 101 Minuten

Filmkritik: La gentrification, c'est moi!

48th Toronto International Film Festival
Es hat im Banlieue mal wieder geknallt.
Es hat im Banlieue mal wieder geknallt. © Courtesy of TIFF

Nach dem unerwarteten Tod des Bürgermeisters von Paris tritt unverhofft der hauptberuflich als Kinderarzt tätige Pierre (Alexis Manenti) interimistisch in dessen Fussstapfen. Mit seinem ruhigen Leben ist es nun vorbei: Auf der Strasse wird er fortan von einfachen Bürgerinnen und Bürgern angesprochen, die ihre Probleme am liebsten von ihm direkt gelöst haben möchten. Dabei scheint Pierre besonders das Banlieue Seine-Saint-Denis unterschätzt zu haben. Dort wohnen vor allem Immigranten in kleinen Wohnungen in baufälligen Blöcken.

Als das Auto seiner Frau einem Graffitiangriff zum Opfer fällt, beginnt Pierre hart durchzugreifen - um damit auch parteiintern sein Profil als Hardliner zu schärfen. So verhängt er kurzerhand für Jugendliche eine Ausgangssperre ab 20 Uhr. Doch Pierre hat die Rechnung ohne Haby (Anta Diaw) gemacht. Die junge Frau engagiert sich für viele Familien in Not und vertritt dabei auch die Interessen von Jugendlichen. Sie entscheidet sich, bei den kommenden Wahlen zu kandidieren - und geht so auf direkten Konfrontationskurs mit Pierre.

Auch in seinem zweiten Spielfilm schildert Ladj Ly die prekären Situationen in den Banlieues und vor allem die Schwierigkeiten der Leidtragenden, etwas daran zu ändern, während die Mächtigen wegen der Gentrifizierung absichtlich auf die Bremse drücken. Weil Bâtiment 5 vieles beleuchten will, fehlt ein wirklicher Fokus, weshalb sich vor allem zu Beginn einige Längen einschleichen. Dank der nervenauftreibenden zweiten Hälfte bleibt aber auch das Nachfolgewerk von Les Misérables in Erinnerung.

Bâtiment 5 ist das Zweitlingswerk von Ladj Ly, der 2019 mit seinem Banleue-Action-Drama Les Misérables für Furore sorgte und sogar für den Oscar als bester internationaler Film nominiert wurde. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine Fortsetzung - man muss also weiterhin mit dem Cliffhanger-Ende des Vorgängers leben. Man kann Bâtiment 5 jedoch thematisch als Sequel bezeichnen. Denn auch hier bringt Ly das Publikum wieder in die unschönen Vororte von Paris und zeigt prekäre Lebensverhältnisse. Im Gegensatz zeigt er hier aber auch die Seite der Macht.

Personifiziert wird diese durch einen Interimsbürgermeister. Gespielt wird dieser von Alexis Manenti, der in Les Misérables noch einen Hitzkopf-Cop verkörperte. Auch wenn Ly die Figur gegen Ende etwas comichaft böse agieren lässt, führt er sie als einfachen Mann ein, der mit seinem neuen Amt zuerst vor allem überfordert ist - und auf Provokationen dann mit der Keule der Macht überproportional zurückschlägt. Im Zentrum der Macht gilt wie auch in den Banlieues, dass man irgendwie überleben muss. Und wenn man sich als harter Hund parteiintern Freunde macht, steigen die Chancen, sich länger im Sattel zu halten.

Ly hält während des Films die Balance zwischen den Mächtigen in ihren schönen Häusern und den Bewohnern der Banlieues. Die Sympathien sind dabei überdeutlich auf der Seite von letzteren; bei jenen Menschen in baufälligen Hochhäusern mit seit Jahren defekten Liften, in denen sogar die Polizisten bei ihren Besuchen ausser Atem kommen. Weil der Plot zwischen Haby und Pierre hin- und herpendelt, wirkt Bâtiment 5 in der ersten Hälfte unfokussiert. Weg ist die Effektivität und die halsbrecherische Rasanz von Les Misérables. Es kristallisiert sich zu Beginn auch nicht wirklich heraus, wohin das Ganze hinführt, wobei der Film auch zwei syrische Immigranten halbherzig vorstellt und diese danach etwas vergisst.

Plätschert die Geschichte in der ersten Hälfte also vor sich hin, macht Ly in der zweiten Hälfte unmissverständlich klar: Dieses Plätschern kommt von einem Fass, in das irgendwann der berühmte Tropfen zu viel fällt. Dieser Tropfen zu viel ist hier eine klaustrophobisch inszenierte Räumungsaktion. Die niederschmetternde Sequenz ist der Start zu einem dramatischen Schlussfurioso, das schlussendlich ein wenig über das Ziel hinausschiesst. Da wäre weniger mehr gewesen. Es ist klar, dass Ly hier vor allem die angestaute Verzweiflung herausschreien will. Der Film fällt da zwar etwas auseinander - aufwühlend und verständlich ist das aber trotzdem.

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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Trailer Französisch, mit deutschen Untertitel, 01:50