La syndicaliste (2022)

La syndicaliste (2022)

  1. 122 Minuten

Filmkritik: Wer klebt hier wem eine?

«Oh Shit, ein Call Center.»
«Oh Shit, ein Call Center.» © Filmcoopi

Maureen Kearney (Isabelle Huppert) setzt sich mit Herzblut und viel Engagement als Gewerkschafterin für die Arbeitnehmenden beim französischen Atomkonzern Areva ein. Doch mit dem bevorstehenden Regierungswechsel von Nicolas Sarkozy zu François Hollande könnten einige Veränderungen anstehen. Denn es mehren sich die Gerüchte, dass die französische Atomindustrie mit China zusammenzuarbeiten gedenkt. 50'000 Jobs bei Areva würden da auf dem Spiel stehen.

«Sacrebleu!»
«Sacrebleu!» © Filmcoopi

Als Maureen geheime Dokumente zugespielt bekommt, welche diese Befürchtungen zu bestätigen scheinen, legt sich die Gewerkschafterin mutig mit Ministern und Industriellen an. Der Druck auf Maureen nimmt dabei stetig zu und eskaliert schliesslich. Am Morgen des 17. Dezembers 2012, dem Tag, an dem sie mit Präsident Hollande über das Thema sprechen sollte, wird sie in ihrer Wohnung angegriffen. Als dem zuständigen Ermittler jedoch bei der Untersuchung Ungereimtheiten auffallen, wird aus Maureen je länger je mehr eine Verdächtige.

La Syndicaliste ist teils Polit-Thriller, teils Gerichtsdrama. Der kompetent gemachte Film von Regisseur Jean-Paul Salomé rollt den Fall Maureen Kearney innerhalb von zwei Stunden auf, wobei in der ersten ordentlich aufs Tempo gedrückt wird, während in der zweiten das Publikum hin- und hergerissen ist, ob man dieser Frau nun trauen soll oder nicht. Ein durchaus spannendes Gedankenexperiment, welches einen besonders aufgrund der unnahbaren Performance von Isabelle Huppert lange rätseln lässt.

Isabelle Huppert und Jean-Paul Salomé, die Zweite. Nachdem die französische Schauspiellegende und der Regisseur schon bei der Krimikomödie La Daronne erfolgreich zusammengearbeitet hatten, machten die beiden nach einer durch die Pandemie verordnete Pause gleich wieder gemeinsame Sache. Wie der Titel La syndicaliste (auf Deutsch: «Die Gewerkschafterin») schon vermuten lässt, geht es darin weniger lustig zu und her. Huppert und Salomé erzählen von dem Fall Maureen Kearney, welcher in unserem westlichen Nachbarsland für Aufsehen sorgte.

Wer gespoilt werden will, liest kurz den Wikipedia-Artikel von Kearney durch. Wer sich lieber unvorbereitet in das Kino setzt, erhält gefühlt zwei Filme. Im ersten geht es um geheime Absprachen in den höchsten Ebenen der Macht, während es im zweiten um die Frage geht, ob Maureen Opfer oder auch etwa Täterin ist. Clever, wie Salomé dabei den Vorfall, um den sich dann alles dreht, lange gar nicht zeigt. Wir wissen also als Publikum ebenfalls nicht, woran wir glauben sollen. Wurde Maureen wirklich angegriffen oder hat sie sich selber an den Stuhl geklebt? Auch wegen Hupperts schwer durchschaubarer Performance als Kearney, welche hier ein wenig abgestumpft und kalt wirkt, kann man sich nicht wirklich festlegen. Dass die Hauptfigur am liebsten auch noch Poker spielt, ist dabei fast zu viel des Guten.

Zu überzeugen wissen beide Hälften der Story, auch wenn beide nicht ohne Probleme sind. Im Gewerkschaftsteil wird etwas gar schnell durch die Geschichte gehetzt, wodurch vieles nur sehr oberflächlich gestreift wird. Alle diese Verstrickungen spielen dann später nur noch eine kleine Rolle, wobei davon einiges auch nicht sauber aufgelöst oder abschliessend erklärt wird. Das kann frustrierend sein, dürfte aber auch näher an der Realität sein. Wer mal wieder einen erwachsenen Thriller sehen will, in dem Spannung mit Worten und gutem Schauspiel erzeugt wird, ist bei La syndicaliste gut aufgehoben.

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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Trailer Französisch, mit deutschen Untertitel, 1:38 © Filmcoopi