Matter Out of Place (2022)

Matter Out of Place (2022)

  1. 100 Minuten

Filmkritik: Globaler Trash

75° Festival del film Locarno 2022
Müll- und andere Berge in Nepal
Müll- und andere Berge in Nepal © NGF

Ein Bagger gräbt ein Loch, zwei Männer mit Helm nähern sich der gelockerten Erde und diskutieren deren Inhalt. Es sind zwei Recycling-Experten aus dem Mittelland, welche über die Abfallgrube staunen, die sich hier mal befunden haben muss, bis eine Kehrichtsverbrennungsanlage gebaut wurde. Auch in der Schweiz hat man den Müll jahrzehntelang vergraben. Heute wird Abfall in der westlichen Welt getrennt. Entsorgungs­unternehmen wie die Firma Saubermacher aus Österreich machen das hochtechnologisiert und speditiv.

Saubermänner aus den USA
Saubermänner aus den USA © NGF

Aber der Abfall wird global nicht weniger. Kathmandu in Nepal kennt die Abfallhalden heute noch. Ein Lastwagen nach dem anderen fährt Müll vor, der dann unter freiem Himmel verbrannt wird. Auf der Bettmeralp im Wallis wird der Müllwagen per Seilbahn auf den Berg transportiert. Und am Burning-Man-Festival in der Wüste von Nevada gruppieren sich die Technotänzer zum Abschluss der Festivitäten in Gruppen, um den Sand zu säubern. Sie suchen «Matter out of Place» - sogenannten MOOP - also alles, was da naturgemäss nicht hingehört.

Nikolaus Geyrhalters kommentarlose Sequenzen über Abfallentsorgung an den abgelegensten Orten des Planeten zeigen die extremen Auswüchse der Umweltverschmutzung unmittelbar. Gerade dort, wo der Mensch Idylle und Entspannung sucht, gestaltet sich das Saubermachen am schwierigsten. Die Maxime «Aus den Augen aus dem Sinn» soll aber auch am Urlaubsort gelten. Die Folge: Kuriose Absurditäten, die man gesehen haben muss, um sie zu glauben.

Minutenläng häckselt ein riesiger Schredder alles, was man ihm in den Schlund schmeisst: Matrazen, Möbel, Gartentschläuche. Eine fast schon meditative Pause im Bilderreigen des Österreichers Nikolaus Geyrhalter, der sich schon mit einigen Dokus einen Namen machte. Seine Bilder kommen ohne Off-Kommentar aus. Es sind prächtige Sequenzen, die einem den Atem noch mehr nehmen würden, gäbe es Geruch im Kino. Denn sie zeigen Dreck und Abfall in allen Variationen.

Die einzige Konstante: Viel Dreck. Und es gibt ihn überall. Auf dem Berg und unter Wasser. Jahrzehntealt und vom letzten Wochenende. Überall wo der Mensch vorbeischaut, gibt es MOOP. Ob nun der Albaner seine Umweltentschmutzung als nationalistische Freizeitbeschäftigung zelebriert oder der Mini-Laster auf seiner Güseltour durch die nepalesischen Wohngebiete tuckert, am Schluss bleibt das Zeug sackweise liegen. Geyrhalter konnte noch so weit reisen auf diesem Planeten: Der Abfallberg war meist schon da.

Dabei filmt Geyrhalter mit unerschütterlicher Geduld und montiert seine Szenen nachher so, dass das Panorama der Walliser Alpen fast nahtlos in den Bergwelt von Tibet fliesst. Eine Anmut, die so schön wirkt, dass sie das Thema «Trash» fast verfehlt. Immer wieder fängt Geyrhalter aber auch absurde Realsatire ein: Lastwagen, die von Baggern geschoben werden, oder der Müllwagen, der an der Seilbahn hängt.

Das Abfall-Problem wird Matter out of Place natürlich nicht lösen. Aber wer beim nächsten Gang zum Papierkorb an die wackeren Männer und Frauen in der lokalen KVA denken muss, überlegt sich vielleicht lieber einmal mehr, wie hoch sein persönlicher Abfallberg eigentlich so ist - und sein muss.

Roland Meier [rm]

Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.

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Trailer Deutsch, 01:28