Je suis noires (2022)

Je suis noires (2022)

  1. 52 Minuten

Filmkritik: Die dunklen Seiten der Schweiz

58. Solothurner Filmtage 2023
Co-Regisseurin und Hauptfigur Rachel reflektiert sich und die (Werbe)welt.
Co-Regisseurin und Hauptfigur Rachel reflektiert sich und die (Werbe)welt. © First Hand Films

Anlässlich des Todes ihres Vaters, der aus dem Kongo kam und eine Deutschschweizerin geheiratet hat, befasst sich die Westschweizer Journalistin Rachel M'Bon mit ihrer Identität als schwarze Schweizerin. Sie trifft sich mit sechs anderen Frauen aus unterschiedlichen Milieus, die Ähnliches erleben und erzählen wie M'Bon. Von der Studentin über die Anwältin zur Bank-Kaderfrau oder einer Psychologin. Sie alle erfahren strukturellen Rassismus und leiden jede für sich unter Diskriminierung.

Brigitte Lambwadio war die erste Schwarze Frau, die in der Schweiz als Anwältin zugelassen wurde.
Brigitte Lambwadio war die erste Schwarze Frau, die in der Schweiz als Anwältin zugelassen wurde. © First Hand Films

Ein Historiker gibt kolonialgeschichtlichen Kontext. Eine Nationalrätin der Grünen ordnet die Sache politisch ein. M'Bon hält so nicht nur ihren Protagonistinnen den Spiegel vors Gesicht, sondern möchte auch die Schweizer Gesellschaft, die auf Idylle und friedliches Beisammensein bedacht ist, zu mehr Selbstreflexion aufrufen.

Der Kurzfilm, dessen Ursprung ein Instagram-Account war, um schwarzen Frauen in der Schweiz mehr Sichtbarkeit zu geben, spinnt die Idee fürs Kino weiter. Ihrer eigenen Biographie verpflichtet, geben die beiden Regisseurinnen Rachel M'Bon und Juliana Fanjul schwarzen Schweizerinnen eine Stimme und beleuchten die Suche nach Identität zwischen Schokoladenschweiz und persönlichen Traumata.

Ist Diskriminierung in der vornehmlich weissen Schweiz überhaupt ein Thema? Die Proteste nach der Ermordung von George Floyd hatten auch Demos auf Schweizer Strassen zur Folge. Doch was erleben People of Color (PoC) ganz konkret im Land? Dieser Frage geht die kongolesisch-schweizerische Kommunikationsfachfrau Rachel M'Bon in der 50 Minuten dauernden Kurzdoku Je Suis Noires nach.

Die Antwort lautet: ja, wenn auch subtiler als früher. Die Erzählungen der Protagonistinnen ähneln sich. Die Studentin Khalissa Akadi, die Anwältin Brigitte Lambwadio, die Psychologin Carmel Fröhlicher, die beiden Banker Armelle Saunier und Tallulah Bär oder die Autorin Paula Charles erzählen von Schlimmem: dem Unglauben, dass man ohne weisse Eltern so intelligent sein könne; dass man für bessere Chancen auf ein Vorstellungsgespräch klugerweise keine Fotos dem Lebenslauf beilegt; sowie vom Klassiker des ungefragten In-die-Afro-Haare-Fassens.

Kein Wunder gibt es Scham, Versteckenspiele und den Wunsch, alles «Afrikanische» zu tilgen. Die Sehnsucht, als «Weisse» aufzuwachen, ist ebenso Thema wie das Gefühl von heimatlosem Gefangensein - sowohl in der Schweiz als auch der Heimat der Eltern. Die Stärke des Films ist, dass weibliche PoC über ihre Erfahrungen reden können. Auch wenn das Gimmick, den Frauen effektiv einen Spiegel vorzuhalten, sehr simple Symbolik darstellt, werden sie gezwungen, über ihr Selbstbild nachzudenken.

Der grösstenteils französisch eingesprochene Film verzichtet auf englische Begriffe, wie sie Alice Hasters in «Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten» propagiert. Und M'Bon forciert etwas zu sehr die Idylle der Schoggi-Schweiz. Mit Alphorn-Klängen und Bildern grüner Täler insinuiert sie gesellschaftliche Verschlossenheit, verstärkt damit aber auch Klischees, die genauso überholt sind wie Stereotype über Schwarze. Trotzdem funktioniert Je Suis Noires als Betrachtung über Selbstbestimmung, Eigenliebe und Minderwertigkeitskomplexe mit der Botschaft, es werde nicht besser, auch wenn die afrikanischstämmigen Teile der Bevölkerung immer präsenter werden.

Roland Meier [rm]

Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.

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