L'innocent (2022)

L'innocent (2022)

  1. 99 Minuten

Filmkritik: Der Ex-Knacki, meine Mutter und ich

75e Festival de Cannes 2022
Wer macht das blödere Gesicht?
Wer macht das blödere Gesicht? © cineworx

Die 60-jährige Sylvie (Anoul Grinberg) organisiert in Gefängnissen Theaterworkshops, um so die Sträflinge zu resozialisieren. Bei Michel (Roschdy Zem) ist jedoch über die Wochen und Monate mehr als nur eine Zusammenarbeit zwischen Regisseurin und Schauspieler entstanden. Kurz vor seiner Haftentlassung heiratet Sylvie Michel in einer Zeremonie, bei der auch ihr Sohn Abel (Louis Garrel) anwesend ist. Der Sohnemann ist so überhaupt nicht mit seinem neuen Stiefvater einverstanden. Er glaubt, dass Michel in Freiheit wieder in alte Muster zurückfällt und so seiner Mutter das Herz brechen wird.

«Ok, wer zuerst blinzelt, verliert.»
«Ok, wer zuerst blinzelt, verliert.» © cineworx

Da er felsenfest davon überzeugt ist, beginnt er zusammen mit seiner guten Freundin Clémence (Noémie Merlant) den Ex-Knacki nach seiner Haftentlassung zu beschatten. Sobald er Michel auf frischer Tat ertappt, würde Abel sofort seine Mutter informieren und die Ehe wäre innert kürzester Zeit Geschichte. Doch dabei läuft so einiges überhaupt nicht Plan - und Abel bringt so nicht nur Michel, sondern auch Clémence und sich selbst in arge Schwierigkeiten.

In L'innocent mixt Regisseur, Hauptdarsteller und Co-Autor Louis Garrel gekonnt Humor mit einem Paranoia-Plot mit Heist-Elementen, wobei vor allem Noémie Merlant mit viel komödiantischem Talent zu gefallen weiss. Ein lockerer Spass mit sympathischen Figuren, der seine liebe Mühe mit dem emotionalen Teil der Story hat, aber ansonsten nicht viel falsch macht.

Aus so einer Geschichte, wie sie L'innocent erzählt, könnte man wunderbar einen düsteren Thriller zimmern. Doch Louis Garrel, der neben der Hauptrolle auch Regie geführt und beim Drehbuch mitgeschrieben hat, ist mehr am Humor interessiert, die eine solche Story durch Missverständnisse, schlechte Kommunikation und Vorurteile mit sich bringt. Auch dank eines sehr spielfreudigen Casts ist sein Film so oftmals herrlich komisch und gefällt auch dank eines unerwarteten actionreichen Finales.

L'innocent ist allgemein ein Film über Unausgesprochenes. Plant Michel wirklich einen Heist? Ist Abel einfach nur paranoid? Doch nicht nur zwischen den Streithähnen Abel und Michel gibt es Spannungen, sondern auch zwischen Abel und Clémence. Bei letzterem Duo weiss auch das Publikum nie wirklich, ob das einfach nur gute Freunde sind oder ob da mehr ist. Louis Garrel spielt da gekonnt mit Emotionen und lässt wie so vieles lange in der Schwebe.

Das alles wird aber nie bierernst gezeigt, sondern immer leichtfüssig vorgetragen, woran Noémie Merlant (Portrait de la jeune fille en feu) als Clémence einen grossen Anteil hat. Zwar übertreibt sie es an gewissen Stellen mit ihrem Overacting, aber die Schauspielerin macht dies auf eine dermassen sympathische Art, dass man trotzdem darüber lacht. Sie ist fast das pure Gegenteil des immer ernst dreinblickenden Garrel, und wann immer sie bei ihren amateurhaften Beschattungsversuchen sehen ist, fegt sie wie ein Wirbelsturm durch die Szenerie.

Overacting ist ohnehin ein gutes Stichwort, geht es in dem Plot doch auch um das Schauspielern und die Fähigkeit, eine Person darzustellen, die man (möglicherweise) nicht ist. Da man deswegen lange nicht weiss, woran man bei den Figuren genau ist, will es mit den Emotionen am Ende nicht so genau funktionieren. Doch Garrel ist ziemlich offensichtlich mehr an Spass interessiert, und den bringt er überzeugend auf die Leinwand. Kein Film, der wirklich länger in Erinnerung bleiben wird, aber während fast 99 Minuten wunderbar zu unterhalten weiss.

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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Jetzt unter freiem Himmel!

Der Film wird Openair aufgeführt, das nächste Mal am 16. August 2025.

Trailer Französisch mit deutschen Untertitel, 1:39 © cineworx