When it melts - Het smelt (2022)

When it melts - Het smelt (2022)

Filmkritik: Ein eisiger Sommer

39th Sundance Film Festival
Es werde Licht…
Es werde Licht… © Courtesy of Sundance Institute

Eva (Charlotte de Bruyne) hat einen Gelegenheitsjob bei einem Fotografen in Brüssel und agiert seltsam, wenn sie Online-Dates trifft. Als auch noch ihre Schwester Tess aus der gemeinsamen Wohnung wegzieht, fällt sie in ein Loch aus Einsamkeit. Und genau in dieser besonders depressiven Phase erscheint ein Social-Media-Post auf ihrem Bildschirm, der den Todestag eines Jugendfreundes ankündigt.

Sun, fun and nothing to do.
Sun, fun and nothing to do. © Courtesy of Sundance Institute

Eva beschliesst, den Anlass im Dorf ihrer Kindheit zu besuchen, und erinnert sich dabei zurück an einen Sommer, der ihr Leben veränderte. Als Dreizehnjährige (Rosa Marchant) wurde sie von ihren Eltern vernachlässigt und war Teil einer Clique um die älteren Jungs Pim und Laurens, die den Mädchen nachstellten. Die kindliche Unbeschwertheit fand damals ein jähes Ende. Dabei spielte auch ein Eisblock eine Rolle, den Eva nun in ihrem Auto mit in ihr Heimatort bringt.

Schauspielerin Veerle Baeten verfilmt in ihrem Regiedebüt den Jugendroman «Und es schmilzt» von Lize Spit, der vor allem in Belgien und den Niederlanden für Aufsehen sorgte, mit einer konsequenten Drastik. In Rückblenden und mit Darstellerinnen, die auf beiden Zeitebenen Evas Verwahrlosung bestens verkörpern, mischt der Film Themen wie Alkoholismus und ganz junge toxische Männlichkeit mit provinzieller Verschwiegenheit. Eine eiskalte Abrechnung.

«Und es schmilzt» von Lize Spit war wohl schon als Roman keine leichte Kost. Auch als Film täuschen die Rückblenden in die Kindheit eine sommerliche Leichtigkeit vor, welche die zu Grunde liegende Geschichte nicht hergibt. Dass hier etwas nicht stimmen kann, merkt man der erwachsenen Figur der Eva an, die, weil sie zuerst eingeführt wird, eine Melancholie vorwegnimmt, die der Film, je länger er dauert, regelrecht ausschlachtet.

Die junge Rosa Marchant steuert als Kind auf die Katastrophe zu, welche Charlotte De Bruyne als Erwachsene noch immer traumatisiert. Aus dieser Gegenüberstellung zweier überzeugender Darstellungen zieht die belgische Schauspielerin Veerle Baeten in ihrem ersten Film als Regisseurin den Reiz. Es ist ein Werweissen über die biographischen Hintergründe, die sich langsam erschliessen und in ihrer Krassheit bestürzen.

Baeten, vor allem bekannt aus The Broken Circle Breakdown und dem Loft-Original, geht dabei aufs Ganze und schreckt nicht zurück vor gleich zwei brutalen Pointen. Sie provoziert damit dörfliche Gemeinschaften - was schon Lize Spit dazu bewog, allen zu sagen, dass nicht jede Provinz ihr dunklen Geheimnisse habe - und die Verfechter des immer schon frauenfeindlichen Spruchs «Boys will be Boys». Denn was sich im Dorf allgemein und im Kopf der Jungs im Besonderen abspielt, ist zurecht empörend. Weil When it melts aber keine Ansätze für Optimismus bietet und sich stattdessen immer tiefer im Selbstmitleid der Hauptfigur suhlt, verpufft die Wirksamkeit von Baetens Anklage ein wenig.

Roland Meier [rm]

Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.

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