Die goldenen Jahre (2022)

Die goldenen Jahre (2022)

  1. 92 Minuten

Filmkritik: Kreuzfahrt ins Unglück

18. Zurich Film Festival 2022
Gute Zeiten.
Gute Zeiten. © Filmcoopi

Zur Pensionierung von Peter (Stefan Kurt) offeriert ihm seine Frau Alice (Esther Gemsch) eine Kreuzfahrt im Mittelmeer. Nach über 40 Jahren trauter Zweisamkeit will das Paar die neugewonnene Zeit geniessen, und vor allem sie auch wieder etwas mehr Schwung ins Eheleben bringen. Doch das kontrastiert mit Peters geänderter Freizeitgestaltung. Neuerdings quält er sich auf dem Rennvelo, isst nur noch gedünstetes Gemüse und verzichtet auf den Alkohol - sehr zum Verdruss der Weinliebhaberin Alice.

Schlechte Zeiten.
Schlechte Zeiten. © Filmcoopi

Als diese herausfindet, dass ihre beste Freundin Magalie, die beim Wandern völlig überraschend verstirbt, eine längjährige Affäre in Frankreich hatte, beginnt auch sie über ihre Bedürfnisse nachzudenken. Vielleicht will man in der neuen Lebensphase das Haus nicht unbedingt gleich den Kindern überlassen für «etwas Kleineres». Und macht das Kreuzschiff nicht auch halt in Marseille, wo es nur noch ein Katzensprung wäre zu Magalies Verehrer, der noch gar nichts von ihrem Ableben weiss? Spätestens als Peter seinen Kollegen und Neo-Witwer Heinz (Ueli Jäggi) mit aufs Schiff nimmt, ist bei Alice klar: Es muss sich was tun. Ab da wird der Ruhestand definitiv unharmonisch.

Die vom SRF und dem ZDF koproduzierte TV-Produktion schafft es zu Recht ins Kino. Subversiver als der in all seinen Bedeutungen «glatte» Trailer und das biedere Filmplakat es vermuten lassen, inszenieren mit Petra Volpe und Barbara Kulszar zwei Erfolgsgaranten des Schweizer Films einen Crowdpleaser. Hinter dem lüpfig-mediterranen-Ambiente steckt mehr. Hier sticht nicht nur ein Traumschiff in See, sondern auch das spielfreudige Ensemble mitten ins Herz - und zwar nicht nur in dasjenige der eigentlich angepeilten AHV-Alter-Zielgruppe.

Das Thema betrifft uns alle irgendwann einmal. Die Pensionierung steht an, und man hat plötzlich mehr freie Zeit zum Verplanen. Das Pärchen, um das es in Die goldenen Jahre geht, gehört zu den gut situierten. Der Mann, lange angestellt in einem Versicherungskonzern, schafft gerade noch den Absprung, bevor die Digitalisierung seinen Posten obsolet macht. Denn gleich nach seinem Abgang wird sein Büro zum Server-Raum umfunktioniert. Er und seine Frau bewohnen ein geräumiges Haus mit Umschwung, das nach dem Auszug des flügge gewordenen Nachwuchs fast etwas zu gross ist, und nun wiederum von der Tochter gerne übernommen würde und saniert werden soll. Also eigentlich könnte man es einfach gut haben. Aber heute will es ja auch die Boomer-Generation immer noch ein bisschen besser haben.

Body- und Sex-Life-Optimierung kommen auf den Zettel, aber wie auch in den Jahren vor der AHV haben Mann und Frau nicht immer dasselbe Blatt Papier vor den Augen. Sie möchte lukullisch cruisen, während er asketisch biken will. Das hat die übliche Kollisions-Kapriolen einer Komödie zur Folge. Und ist dank Geldern vom SRF und dem ZDF auch im schicken 20-Uhr-15-Look verfilmt. Doch mit zwei Powerhouses des Schweizer Films an den heiklen Stellen wird da doch noch etwas mehr Subversion in die Geschichte gepackt.

Das Drehbuch von Petra Volpe (Die Göttliche Ordnung, Heidi) gibt bei den Protagonisten ihren Sehnsüchten ebenso Raum wie seiner - zumindest temporären - Impotenz. Auch die nachfolgende Generation wird vom Szenario mit Alkoholismus und Tinder-Gigolo-Dasein ausgestattet, aus dem Unerwartetes entsteht. Und Regisseurin Barbara Kulcsar (mehrere Der Bestatter- und Tatort-Folgen) inszeniert Traumschiff-Szenerien ebenso süffig wie überraschend «woke» Begegnungen auf französischen Bauernhöfen. Dass die obligate Pilzli-Schluckerei für etwas Sauglattismus eingestreut sein muss, schieben wir mal auf besonders eifrig sich einmischende TV-Redakteure ab.

Esther Gemsch, die hier ihre Rolle in der längst und zu Recht vergessenen UPC-Serie Fässler-Kunz bekräftigt, und Stefan Kurt als eine Art Papa B-Moll sind hinreissend in ihren Rollen. Alles wirkt wie aus dem Leben gegriffen und die Gaudi der Beteiligten nimmt der Pensionierung den Schrecken. So machen rüstige Rentner Spass.

Roland Meier [rm]

Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.

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Trailer Schweizerdeutsch, 02:02