The Fabelmans (2022)

The Fabelmans (2022)

  1. 151 Minuten

Filmkritik: Marriage Story

47th Toronto International Film Festival
Kino ist das Grösste!
Kino ist das Grösste! © Universal Pictures

New Jersey, 1952: Der sechsjährige Sammy Fabelman (Mateo Zoryon Francis-DeFord) schaut sich im Kino The Greatest Show on Earth an und ist vor allem von der grossen Zugsentgleisungsszene völlig fasziniert. So wünscht er sich noch in derselben Nacht von seinen Eltern eine Modelleisenbahn, die er nach dem Erhalt mit viel Freude entgleisen lässt. Papa Burt (Paul Dano) findet das nicht so toll, doch Mutter Mitzi (Michelle Williams) ermuntert ihren Sohn, die Entgleisung doch einfach mit einer Filmkamera einzufangen. So kann er sich das immer wieder ansehen, ohne dass das Geschenk irgendwann kaputt geht.

Das Filmemachen wird in den darauffolgenden Jahren zu Sammys grosser Leidenschaft. Als Teenager (Gabriel LaBelle) dreht er mit seinen Freunden kurze Western und Kriegsfilme, wobei die dabei entstehenden Werke immer aufwändiger werden. Vater Burt ist zwar beeindruckt, doch tut er das Filmen vor allem als Hobby ab. Während sich Sammy auf neue Filmexperimente konzentriert, scheint die Ehe zwischen Mitzi und Burt auch wegen der ständigen Umzüge immer mehr bachabzugehen.

Auf berührende Art und Weise arbeitet Steven Spielberg mit The Fabelmans seine nicht einfache Kindheit auf. Wie sehr der Meisterregisseur von seinen Eltern geprägt wurde, wird hier offensichtlich. Obwohl deren Ehe in die Brüche ging, findet Spielberg zusammen mit Janusz Kamiński schöne und warme Bilder und begeistert mit ganz viel Liebe - für seine Familie und für das Medium Film.

The Fabelmans, das semi-autobiografische Coming-of-Age-Drama von und über Steven Spielberg, ist ein Film über das Lernen. Nicht einfach über das Erlernen des Regiehandwerks, sondern auch über den Umgang mit Emotionen und darüber, wie Filme da helfen können.

Der dreifache Oscarpreisträger - es sind trotz der beispiellosen Karriere tatsächlich nur so wenige Academy Awards -, gilt nicht nur als einer der Besten, was das Handwerkliche betrifft, sondern auch als kreatives Genie. In The Fabelmans wird erklärt, dass der eine Teil von seinem Elektroingenieur-Vater kam, der andere von seiner künstlerisch begabten Mutter. Schon die erste Szene deutet darauf hin: Während Paul Danos Burt seinem vor dem Kinobesuch ängstlichen Sohn die Mechanismen eines Projektors zu verklickern versucht, beschreibt Michelle Williams' Mitzi das bevorstehende Erlebnis mit dem Satz «Filme sind wie Träume, die man nie vergisst».

Es ist kein Spoiler zu sagen, dass die Ehe von Steven Spielbergs Eltern im echten Leben in die Brüche ging und ihn dies geprägt hat - man denke nur an die abwesenden Väter in E.T. oder Catch Me If You Can. The Fabelmans zeigt nun, wie er sich als junger Mann in seine von ihm geschaffenen Bilderwelten floh, da er dort alles kontrollieren und in mehrfacher Hinsicht Dinge ver- und bearbeiten konnte. So wurde er zu einem regelrechten «Kunst-Junkie», wie er im Film einmal genannt wird.

Das soll aber nicht heissen, dass The Fabelmans ein reines Scheidungsdrama ist. Diese nimmt zwar einen grossen Teil ein, doch zeigt sich Spielberg hier vor allem verständnisvoll und versöhnlich seinen Eltern gegenüber und ergreift keine Partei. So entsteht schönes Semi-Biopic, das zum Glück den Humor nicht vergisst. Denn auch wenn Teenagerjahre nicht immer leicht sind, gibt es da auch viele erste Erlebnisse und einiges zu lachen. Gabriel LaBelle, der Sammy hauptsächlich spielt, kann in seine Rolle eine ganze Bandbreite von Emotionen zeigen und ist Teil eines formidablen Casts, bei dem auch Judd Hirsch und ein gewisser Regisseur in der Rolle eines gewissen Regisseurs brillieren.

Der Film braucht jedoch eine Weile, um in die Gänge zu kommen. Die Frage stellt sich da, wieso diese so normal wirkende Familiengeschichte erzählt werden muss. Doch nach einer Weile findet man herein und erliegt dem Charme des Ganzen. Denn The Fabelmans bleibt trotz schwerer Themen wie Scheidung und Antisemitismus, dem sich Spielberg in der Schule ausgesetzt sah, immer federleicht, voller Liebe und wie einer dieser anfangs erwähnten Träume - besonders auch dank der warmen Bilder von Janusz Kamiński und dem Score von John Williams. Eine perfekte letzte Einstellung unterstreicht zudem die Sache mit dem Lernen nochmals wunderbar.

Spielberg sagt selbst, dass dieses Projekt für ihn wie eine Therapie gewesen sei, um einiges aufzuarbeiten. Eine Therapiesession, die sich gelohnt hat - für ihn und für uns.

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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