So etwas wie Everything Everywhere All at Once habt ihr wohl noch selten gesehen: wild, verrückt, unvergesslich, unvergleichlich, überbordend, aber nie überladen. Mit einem halsbrecherischen Tempo rast der Film durch Multiversen und Genres, zieht dem Publikum regelmässig den Boden unter den Füssen weg und macht mit seiner fiebertraummässigen Energie dermassen viel Spass, dass man einfach mitgerissen wird und selbst ab den blödesten Dingen zu lachen beginnt. Einer der besten Filme des Jahres, der volle Hahne flasht.
Es gibt da einen Hit
Die ganze US-Nation kennt den schon
Alle singen mit - EEAA-O- EEAA-O
Ganz laut im Chor, das geht ins Ohr
Keiner kriegt davon genug, alle halten ihn für cool.
Hoffentlich springen wir mit auf den Zug.
Denn diese Zeit ist ganz und gar nicht geklaut - EEAA-O-EEAA-O
«Was ist denn das für ein ohrwurmartiger und seltsamer Einstieg in eine Kritik?», werden sich vielleicht nun einige fragen. Nun, es ist unser Versuch, diesem Film irgendwie gerecht zu werden. Denn Everything Everywhere All at Once - oder insidermässig abgekürzt: «EEAAO» - ist alles andere als Standard und passt weder in ein Schema noch in ein Genre. Eine regelrechte Kreativitätsexplosion, die man selbst sehen, erleben und spüren muss.
Der Film vermittelt perfekt das durch die ständige Informationsflut ausgelöste Gefühl, dass alles jederzeit passieren kann, wir immer auf der Hut sein müssen und es keine Pausen gibt. Doch egal wie wild und laut der Film bei dieser Darstellung wird, erinnert er uns auch daran, was eigentlich wichtig wäre - ohne kitschig oder moralisierend zu wirken. Everything Everywhere All at Once anerkennt, wie chaotisch wir Menschen mit unseren durch Unsicherheit ausgelösten Handlungen sein können und thematisiert auch gleich noch Generationenkonflikte. Auf ihrem Weg durch das schräge Multiversum und dabei stellvertretend durch die menschliche Psyche finden Dan Kwan und Daniel Scheinert auch sehr viel Schönheit in der Absurdität.
Und Mann, ist Everything Everywhere All at Once an vielen Stellen extrem absurd - es stehen ja immerhin die kreativen Vögel von Swiss Army Man hinter dem Projekt. Mit ihrem Ideenreichtum überwältigen sie das Publikum ähnlich wie ihre Protagonistin, die von Michelle Yeoh in allen erdenklichen Facetten grossartig gespielt wird. Denn Yeoh spielt nicht nur eine Waschsalonbesitzerin, sondern auch viele weitere Versionen ihrer Evelyn - das Ganze funktioniert ähnlich wie das Konzept des Sci-Fi-Drama-Geheimtipps Mr. Nobody. Da unter diesen Versionen auch eine Martial-Arts-Spezialistin ist, mischen die Regisseure so problemlos Sci-Fi, Kampffilm, Familendrama und Komödie und unterlegen das auch noch mit einem Son-Lux-Score irgendwo zwischen Matrix und Toy Story.
So geht dann in schwindelerregender Manier die Post ab. Verspielte Kampfszenen wechseln sich mit verrückten Spässen ab, von denen ein paar den guten Geschmack ausklammern. Dieses durchgeknallte Programm zieht der Film durch - selbst in emotionalen Szenen. Dort wird zwar die Wirkung auf der Gefühlsebene etwas untergraben, doch mag man diesem Film dafür nicht wirklich böse sein. Für das ist er einfach zu sehr ein Unikat und geht letzten Endes doch noch zu Herzen.
Es ist zweifelsohne ein fast schon wahnsinniger Drahtseitakt, den die Daniels hier bei einer Windgeschwindigkeit von 120 Kilometer pro Stunde vollführen - und sie bringen das Ganze durch alle Multiversen hindurch sicher und dank viel Liebe für ihre Figuren wohlbehütend auf die andere Seite. Es gibt noch so viel Lobendes zu erwähnen wie die fantastischen Performances von Stephanie Hsu, Jamie Lee Curtis und von Schauspiel-Rückkehrer Ke Huy Quan, der in den Achtzigern als Short Round in Indiana Jones and the Temple of Doom grosse Bekanntschaft erlangte. Doch würde dies zum einen den Rahmen sprengen und zum anderen sollte man diesen Film mit so wenig Infos wie nur möglich sehen. Am Ende werdet ihr auf jeden Fall wissen, wie sich Kleidung in der Waschmaschine nach dem Schleudermodus fühlen müssen. Unbedingt anschauen!
EEAA-O, EEAA-O - EEAA-O!