Les enfants des autres (2022)

Les enfants des autres (2022)

  1. 103 Minuten

Filmkritik: Freuden und Leiden einer Ersatzmutter

79. Mostra Internazionale d'Arte Cinematografica 2022
Harmonie für Virginie
Harmonie für Virginie © Frenetic Films

Die vierzigjährige Rachel (Virginie Efira) ist eine aufgestellte Frohnatur und geniesst ihr Leben. Sie ist kinderlos und Single, pflegt aber noch immer ein gutes Verhältnis zu ihrem Ex und beansprucht hin und wieder auch dessen Hilfe. Bei der Arbeit als Oberstufenlehrerin halten sie die Jugendlichen auf Trab, aktuell gerade besonders, weil sie Hilfe bei der Lehrstellensuche benötigen. Als Rachel beim Gitarrenunterricht den charismatischen Ali (Roschdy Zem) kennenlernt, verändert dies ihr Leben schlagartig. Die beiden verlieben sich und führen eine leidenschaftliche, innige Beziehung. Nur eine Kleinigkeit steht der ganzen Harmonie im Wege: Alis vierjährige Tochter Leila (Carrie Ferreira-Goncalves).

Schon damals als Nonne war ich ziemlich wild.
Schon damals als Nonne war ich ziemlich wild. © Frenetic Films

Trotz ihrer Sympathie für Kinder und Jugendliche fällt es Rachel schwer, Leilas Zuneigung zu gewinnen. Auch wenn sie sich noch so bemüht und sie liebevoll behandelt, sieht Leila sie zunächst nicht als Teil der Familie. Rachels Wunsch ist es, ihr eigenes Kind mit Ali zu bekommen. In ihrem Alter ist dies jedoch nicht mehr ganz unkompliziert. «Ihre Uhr tickt», gibt ihr so der ältere Gynäkologe (Frederick Wiseman) charmant zu verstehen.

Nach einer etwas holprigen Exposition entfaltet sich Les enfants des autres zu einem rührenden, tiefgründigen Drama, dem es auch an gutem Humor nicht fehlt. Hauptdarstellerin Virginie Efira scheint sich in ihrer Rolle richtig wohl zu fühlen und zeigt eine brillante Performance. Noch selten wurden die Situation und das Empfinden einer Stiefmutter in einem Film so nuanciert, feinfühlig und ehrlich dargestellt.

Rebecca Zlotowskis (Planetarium, Une fille facile) fünfter Spielfilm wirkt in der Anfangsphase ein wenig wie eine Telenovela oder eine Seifenoper. Nonchalant und voller Elan schwingt sich die Protagonistin Rachel durch den Alltag an der Schule, an welcher sie unterrichtet. Und etwas gar simpel und schnell scheint sich die Liebesbeziehung zu Ali zu entwickeln. Doch dieser Eindruck verfliegt nach den ersten Minuten wieder.

Je weiter die Erzählung fortschreitet, desto mehr Tiefe erlangt sie. Und gegen Ende des Films muss anerkannt werden, dass Les enfants des autres nicht nur eine authentische Love-Story mit all ihren Facetten ist, sondern auch das Rollenbild einer Stiefmutter auf erfrischende, selten gesehene Art und Weise präsentiert. Stiefmütter im Film werden eher mit negativen oder gar bösartigen Eigenschaften assoziiert, unter anderem zum Beispiel wegen der Darstellungsweisen in Disney-Filmen. Zlotowski gelingt es hingegen schön, das Empfinden und die Gefühle von Rachel zu vermitteln und die Herausforderungen in ihrer anspruchsvollen Situation zu thematisieren.

Einen massgeblichen Anteil an dieser schönen Darstellung hat die hinreissende, aufgeweckte Hauptdarstellerin Virginie Efira. Das Wechselbad der Gefühle, in dem sich Rachel befindet, verlangt einiges ab von der Belgierin, die zuletzt in Paul Verhoevens Benedetta für Aufsehen sorgte. Mit Roschdy Zem, der seine Rolle ebenfalls vorzüglich spielt, harmoniert Efira wunderbar. Ihr Zusammenspiel wirkt sehr natürlich, und sie überzeugen sowohl in heiteren und humorreichen Momenten als auch in unangenehmeren, schwierigeren Konversationen.

Gianluca Izzo [gli]

Gianluca ist seit 2013 als Freelancer für OutNow tätig. Er liebt es, verborgene Perlen an Filmfestivals zu entdecken, insbesondere in Venedig. Neben seinem Faible für italienische und skandinavische Filme bewundert er die Werke von Scorsese, Lynch, Villeneuve und Chazelle sowie die Bond-Klassiker.

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Kommentare Total: 2

chr

Ein Film der ganz schön braucht. Gute 60 Minuten eine klein wenig langweilige Liebesgeschichte, doch dann wird es sehr emotional, was vor allem auch mit dem Schauspiel von Virginie Efira (Rachel) und Callie Ferreira-Goncalves (Leila) zusammenhängt.

gli

Filmkritik: Freuden und Leiden einer Ersatzmutter

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Trailer Französisch, mit deutschen Untertitel, 01:48