Drii Winter (2022)

Drii Winter (2022)

  1. ,
  2. ,
  3. 136 Minuten

Filmkritik: Ewigi Liebi

72. Internationale Filmfestspiele Berlin 2022
Streicheln im Stall: Michèle Brand und Simon Wisler zeigen Zuneigung.
Streicheln im Stall: Michèle Brand und Simon Wisler zeigen Zuneigung. © hugofilm

Hoch über dem Urnersee haben sich der stille Marco (Simon Wisler) und die patente Anna (Michèle Brand) gefunden. Er ist ein Unterländer, der anpacken kann und sich deshalb als Knecht verdient macht. Sie ist Pöstlerin und Serviertochter im Restaurant der Mutter. Anna hat schon eine Tochter aus erster Ehe, aber die Liebe der beiden ist so gross, dass sie es nochmals versuchen wollen.

Nachdem die Hochzeitsglocken verklungen sind, erkennt der Arzt nach einem glimpflich verlaufenen Töff-Unfall die Ursache für Marcos ständiges Kopfweh. Ein Tumor hat sich in seinem Hirn entwickelt, der seine Impulskontrolle zu beinträchtigen droht. Marco wird operiert, aber wird er danach je wieder derselbe sein?

Drii Winter beginnt mit der Aufnahme eines Felsens, um den sich Nebelschwaden bilden. Am Filmende sieht man nur noch Gesteinsbrocken. Auch als Zuschauer ist man erschlagen von der Wucht des Werks, einem Heimatfilm mit sakralen Gesangsintermezzi, bei dem die Details stimmen. Ein Schweizer Film wie ein wortkarger Bergler. Kraftvoll und heimatverbunden, gemächlich und ohne ein Wort zu viel strotzt er den Widrigkeiten des Lebens mit seinem Herz am rechten Fleck.

Die Schönheit der Urner Berglandschaft (Drehort war Isenthal) im zweiten Film von Michael Koch ist ein Faktum und lockt sogar eine Bollywood-Produktion an. Die stellt das Dorf aber nur vor logistische Probleme. Und die Darbietung der Romantik durch die Darsteller aus Asien am schneebedeckten Abgrund verwirren eine ganz bestimmte Bewohnerin nur. Anna hat auf der Alp eine andere, eine richtige Liebe gefunden, an die das Liebespaar fast selber nicht glauben kann.

Gleichzeitig ist das Älplerleben mühselig und schweisstreibend. Die Heuballen - von Hand gemäht - zischen per Seilwinde ins Tal. Geröll wird per Raupenfahrzeugt entfernt. Wer nicht «performt», wird ersetzt - wie eine Kuh, die man metzget, wenn sie keine Milch mehr gibt. Vor diesem Hintergrund versteht man Marcos Angst vor seinen Kopfschmerzen. Was ist ein Knecht, der nicht mehr richtig zupacken kann?

Michael Koch setzt komplett auf Laiendarsteller. Nicht nur bei Anna und Marco. Simon Wisler, ein Mann mit breitem Kreuz, der lieber Eistee statt Bier trinkt, ist ein gmögiger Kerl. Michèle Brand als Dorfschönheit weiss, was sie will und verzweifelt schier, weil sie mit ihrer Zärtlichkeit beim Gatten manchmal nicht mehr weiterkommt. Und trotzdem platzen sie fast vor Glück - zumindest bis die grosse Tragödie sie einholt. Der Chor Luzern nimmt es mit seinen Kirchenliedern, die wie bei den antiken Griechen die Handlung auflockern, vorweg, wenn er in die Landschaft drapiert wird. Wie alle Bildkompositionen in diesem 4:3-Films sind auch diese einfach nur prächtig.

Und es sind Details, die den Film enorm stimmig machen: die uniformierte Dorfmusik, die auf das Brautpaar wartet; die Tonspur der Skirennen im TV; das Gemurmel der Mandli, die am Stammtisch über die ihre Stangen gebeugt sind; und die urchige Glaubwürdigkeit seiner Protagonistinnen, egal ob sie Haddaway-Songs krakeelen oder ein genervtes «Nä-Hä» herauspressen.

Roland Meier [rm]

Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.

  1. Artikel
  2. Profil
  3. E-Mail
  4. Twitter