Warum malte Albert Anker bloss ganz gewöhnliche Menschen beim ganz gewöhnlichen Morgenessen? Heinz Bütler geht wiedermal auf Spurensuche in der Kunst. Nach Ferdinand Hodler, Andreas Walser und Alberto Giacometti nimmt er sich nun Albert Anker vor, dessen Werk vor allem für die realitätsnahe Darstellung des Schweizerischen Volkslebens bekannt ist.
Wer nun eine bünzlige Abhandlung erwartet, der zentimeterdicken Staub anhaftet, wird eines besseren belehrt. Denn Bütler weiss, wie er mit der schweigenden Kunst in lebendigen Dialog treten kann. Dafür versammelt er vor der Kamera erneut prominente Namen des Schweizer Kulturbetriebs, die mehr oder weniger zu ihrem Sujet zu sagen haben. Inhaltliche Tiefe verleihen den Betrachtungen vor allem die Kunsthistorikerinnen Nina Zimmer und Isabelle Messerli sowie der Nachfahre Ankers, die Werk und Leben der Schweizer Malerpersönlichkeit auf angenehmem Niveau einordnen.
Während von den Künstlern vor allem Sulzer und Schnyder - der erneut die Klaviermusik beiträgt - eher blass bleiben, geht der 2022 verstorbene Endo Anaconda regelrecht in den Beobachtungen, Erklärungen und Interpretationen der vorgefundenen Schriften, Gemälde und Preziosen auf. Der gelernte Siebdrucker verblüfft mit seinem Allgemeinwissen, schwärmt, leidet mit und befreit schliesslich sogar Anker im metaphysischen Dialog von dessen Selbstzweifeln. Ohne sich in den Vordergrund zu drücken, bringt er das Feuer und die Wucht hinein, vor der Bütlers Vorgängerwerk nur so gestrotzt hat. Bisweilen beschleicht einen sogar das Gefühl, Anaconda habe in Anker so etwas wie einen Bruder im künstlerischen Geiste gefunden.
Umweht vom spätromantisch-frühimpressionistischen Hauch des Mystischen - ausgehend von Griegs Klaviermusik - kommen so sowohl Anker-Versierte wie auch Anker-Greenhorns Schritt für Schritt der Qualität von dessen Bildern näher und das vermeintlich Beschauliche gibt den Blick frei ins Überzeitliche und in die Modernität von Ankers Werk. Und man hätte sich gerne noch mehr vertieft in den Erläuterungen und Erklärungen gerade der Kunsthistorikerinnen. Dennoch bietet dieser Porträtfilm einen guten Startpunkt, um sich mit Anker auseinanderzusetzen - und auf jeden Fall versteht man nach dem Schauen, warum heute ganz gewöhnliche Menschen das Handy zücken, um sich beim ganz gewöhnlichen Morgenessen zu fotografieren.