Wet Sand (2021)

Wet Sand (2021)

  1. ,
  2. 115 Minuten

Filmkritik: Hidden Lifes at the Black Sea

57. Solothurner Filmtage 2022
Ich nime no en Campari-Soda!
Ich nime no en Campari-Soda! © Sister Distribution

In einem kleinen georgischen Dorf am Schwarzen Meer: Eliko nimmt sich das Leben, er erhängt sich in seinem Haus. Das Dorf ist ratlos über die Umstände, schnell wird getratscht und werden Vermutungen angestellt. Schon immer sei Eiko seltsam und eigen gewesen. Einzig der Café-Besitzer Amnon (Gia Agumava) nimmt Eiko in Schutz.

Eigenbrötler?
Eigenbrötler? © Sister Distribution

Bald taucht im Dorf Eikos Nichte Moe (Bebe Sesitashvili) auf, um die notwendigen Vorkehrungen nach dem Tod Eikos zu treffen und dessen Beerdigung zu organsieren. Moe passt mit ihrer unangepassten Art und ihrer Stadt-Attitüde so überhaupt nicht ins ländliche Leben und eckt bald mit den Bewohnern des Dorfes an. Auf der Suche nach der Ursache des Suizides ihres Grossvaters stösst sie im Dorf auf ein über lange Zeit aufrechterhaltenes Lügennetz, grossen Widerstand und sture, konservative Menschen, die nicht wahrhaben wollen, dass Eiko während 22 Jahren ein verborgenes Liebesleben führte. So manche Dorfgeschichte kommt nach und nach ans Licht, was nicht allen Dorfbewohnern gleich wohl bekommt.

Wet Sand porträtiert einfache, eigensinnige Menschen. Kein Grashalm kann im Ort gebogen werden, ohne dass es nicht zu Dorftratsch, Gerüchten oder gar schlimmeren Konsequenzen kommt. Wer sich den Film ansieht, sollte genügend Zeit mitbringen. Nicht wegen einer ausufernden Laufzeit, denn das Drama liegt mit seinen 115 Minuten absolut im Rahmen. Aber es braucht Zeit, um sich auf den langsamen Film einzulassen, die stoische Ruhe auszuhalten. Dann nämlich erhält man eine schöne Geschichte um sexuelle Emanzipation und Offenheit im Konflikt mit alteingesessenen Haltungen.

Der Film von Elene Naveriani fühlt sich ein wenig an wie ein Tag am Meer: das Rauschen der Wellen, die Ruhe und Entspannung, und doch klebt am Ende des Tages jede Menge nasser Sand an den Füssen. Wet Sand spielt am Schwarzen Meer im Mikrokosmos der lokalen, ländlichen Atmosphäre, geprägt durch die karge Existenz am Ozean, die raue Bise und die wortkargen Charaktere des Dorfes. Wer am Meer wohne, sei sowieso glücklicher, erklärt denn auch Amnons Mitarbeiterin Fleshka. Wie die meisten Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes ist sie tief gespalten einerseits durch den Wunsch, ein anderes Leben an einem anderen Ort zu führen und andererseits der jahrelangen heimatlichen Verbundenheit mit dem Ort und der finanziellen Unmöglichkeit, etwas daran zu verändern.

Das Drama beginnt mit dem angedeuteten Suizid, ehe sich die Bewohnerinnen und Bewohnern das erste Mal das Maul zerreissen. Die Story kommt nur äusserst schleppend voran, der Film nimmt sich enorm viel Zeit, um die Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die in ihrem Grundkern schöne Ansätze verfolgt und zum Denken anregt. Dann nämlich, wenn uns bewusst wird, dass Homosexualität noch immer längstens nicht an jedem Ort akzeptiert und gutgeheissen wird und dass homosexuelle Menschen oftmals noch heute ein Versteckspiel spielen müssen. Es wird klar, dass die konservative Landbevölkerung noch nicht bereit zu sein scheint für - ihrer Ansicht nach - abweichende sexuelle Orientierungen.

Dabei geht der Film in grossen Teilen sehr feinfühlig mit der Thematik um und wagt erst am Schluss eine grosse Offenbarung und somit eine Konfrontation. Vielleicht ist diese gar zu subtil, sodass man sich mehr Drive, mehr Entschlossenheit im Storytelling wünschen würde und weniger klebrigen, nassen Sand an den Füssen.

Durch die Entschleunigung entstandene Längen, beispielsweise, wenn ein Brief mit etlichen, langen Pausen vorgelesen wird oder die Kamera eine Situation einfängt, werden für das Publikum zur Geduldsprobe, und auch einige Charaktere erscheinen der Dramaturgie wegen zu sehr geskriptet. Wer skurrilen Charakteren und zeitweise beinahe stillstehenden Handlungen etwas abgewinnen kann, wird an Wet Sand seine Freude haben. Allen anderen bleiben sandige Füsse.

Yannick Bracher [yab]

Yannick ist Freelancer bei OutNow seit Sommer 2015. Er mag (Indie-)Dramen mit Sozialkritik und packende Thriller. Seine Leidenschaft sind Filmfestivals und die grosse Leinwand. Er hantiert phasenweise noch mit einem Super-8-Projektor und lernt die alten Filmklassiker kennen und schätzen.

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Trailer Originalversion mit deutschen Untertitel, 1:46 © Sister Distribution