Tom Medina (2021)

Tom Medina (2021)

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  2. 100 Minuten

Filmkritik: Von Stieren und brachialen Klageliedern

Fägnäscht Tom bezirzt Umweltaktivistin Suzanne.
Fägnäscht Tom bezirzt Umweltaktivistin Suzanne. © First Hand Films

Der rastlose Aussenseiter und aufmüpfige Kleinkriminelle Tom Medina (David Murgia) ist auf Bewährung frei. Mit schlammverschmiertem Gesicht und Torero-Hut stapft er theatralisch durch eine Sumpflandschaft in der Camargue im Südosten Frankreichs. Richterlich verordnet sucht er hier Ulysse (Slimane Dazi), der zusammen mit seiner Tochter Stella (Karoline Rose Sun) einen Bauernhof führt.

(K)ein Kameramann von der Stange
(K)ein Kameramann von der Stange © First Hand Films

Dort angekommen, trifft er auf drei Leidensgenossen, die ebenfalls an einem Resozialisierungsprogramm teilnehmen. Von Visionen geleitet, erlernt er von Ulysse das Metier des Stierhüters und trifft eines Tages auf die Plastikmüllsammelnde Aktivistin Suzanne (Suzanne Aubert).

Inspiriert von seiner Jugend als Flüchtling und Kleinkrimineller, gelingt dem Autorenfilmer Tony Gatlif mit Tom Medina ein persönliches Aussenseiterdrama mit nachhaltend wirkender Filmmusik, Schrei-Gesang inklusive. Der Schauspieler David Murgia brilliert als umherschweifender Titelheld in einer umherschweifenden Erzählung.

Seit über 40 Jahren beschäftigt sich der Autorenfilmer Tony Gatlif mit Identitätssuche, Fahrenden sowie dem Flamenco. 1960 kam er während des Algerienkriegs mit 13 Jahren allein als Sans-Papier nach Frankreich. Er schlief auf der Strasse und hielt sich als Kleinkrimineller über Wasser, bis ihn ein Sozialarbeiter von der schiefen Bahn holte. Inspiriert von Gatlifs Jugend vermittelt Tom Medina Gefühle der Orientierungs- und Heimatlosigkeit wie auch des Fluchttraumas.

Allen voran besticht der Schauspieler David Murgia, der mit Inbrunst den umherschweifenden Titelhelden verkörpert. Allerdings hat der Film auch einen Hang zum umher- bzw. abschweifenden Erzählen, was wie ein Damoklesschwert über der Figurenanteilnahme der Zuschauenden hängt. Eine «atmende» Kamera versucht dieser Gefahr routiniert vorzubeugen. Leider gibt es zu viele spannende Nebenfiguren, die unterentwickelt bleiben.

Wie dem auch sei, der Film fasziniert. Und jetzt Obacht: Dafür mitverantwortlich ist ein eindringlicher Soundtrack mit sporadisch astreinem Death-Metal-Gekreische, der Tom buchstäblich vom Stuhl haut. Hinzu kommen mystisch anmutende überbelichtete Bilder, stimmungsvolle und effektiv verfremdete Tonkulissen wie auch hypnotische und metaphorische Tagtraumsequenzen. Allesamt tragen sie zum Zauber bei, der sich durch den Film zieht.

Lorenzo Berardelli [lbe]

Nach einem erfolgreichen Fernseh- und Serienentzug verfiel Lorenzo dem Reiz von DVD-Raritäten und ruinierte sein Portemonnaie. Heute beschwört er das Filmeschauen im Kino als höchstes der Gefühle und beim Rattern eines 35mm-Projektors wird ihm ganz warm ums Herz. Seit 2022 schreibt er für OutNow.

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Trailer Französisch, mit deutschen und italienischen Untertitel, 01:49