Swan Song (2021/II)

Swan Song (2021/II)

  1. 105 Minuten

Filmkritik: The Not Straight Story

17. Zurich Film Festival 2021
Life is a Rollstuhl.
Life is a Rollstuhl. © Courtesy of Magnolia Pictures

Seine dicken Klunker an den Fingern sind das einzige, was von seinem einstigen Glamour übrig geblieben ist. Heute lebt der ehemalige Edelfriseur und Drag-Pferformer Pat (Udo Kier) ein trostloses Leben im Pflegeheim, wo seine Hauptbeschäftigung darin besteht, Servietten zu falten. Eines Tages erfährt er vom Tod von Rita Parker Sloan (Linda Evans), seiner ehemals besten Kundin. Ihr Anwalt bittet ihn - gegen ein fürstliches Honorar - sie ein letztes Mal zurechtzumachen: Im Sarg für die Beerdigung. Doch Pat weigert sich, denn er hegt einen Groll gegen Rita, weil sie sich am Ende von ihm abgewendet hat.

Wenig später ändert er hingegen seine Meinung und büxt aus dem Pflegeheim auf. Sein Ziel: die Kleinstadt Sandusky, der Ort seiner glanzvollen früheren Tage. Auf der Suche nach Beauty-Produkten für seinen letzten grossen Auftrag trifft er neben anderen früheren Weggefährten auch auf Dee Dee Dale (Jennifer Coolidge), seine ehemalige Angestellte, die sich selbständig gemacht gemacht und - so zumindest sein Empfinden - ihn damit verraten hat. Ihr Laden hat sich nicht verändert, ganz im Gegensatz zum Rest der Stadt, wie Pat nicht ohne Schmerz feststellen muss.

Udo Kier in grellem Outfit als Dragqueen - alleine wegen dieses Anblicks ist es nicht völlig verschwendete Zeit, sich Swan Song anzusehen. Die Geschichte drumherum ist freilich ein bisschen weniger spektakulär und hat die eine oder andere Länge zu verzeichnen. Der Film von Todd Stephens ist sympathisch, hat das Herz am rechten Fleck, wird gegen Ende jedoch ein bisschen allzu rührselig. Der tolle Hauptdarsteller Udo Kier rettet den Film schliesslich vor der Belanglosigkeit.

Was passiert eigentlich mit diesen sogenannten Paradiesvögeln, wenn sie einmal in die Jahre gekommen sind? Swan Song gibt eine triste Antwort auf diese Frage: Sie landen in Altersheimen, wo sich keiner mehr für sie interessiert. Der Film von Todd Stephens ruft dem Publikum zumindest einen davon in Erinnerung: Pat Pitsenbarger, der aus derselben Kleinstadt stammte wie er - Sandusky, das auch der Schauplatz dieses Films ist.

Als Hauptdarsteller verpflichtete Stephens Udo Kier, so etwas wie das deutsche Pendant zum 2017 verstorbenen Harry Dean Stanton: ein verlässlicher Nebendarsteller in zahlreichen Produktionen (unter anderem Melancholia oder Downsizing), der die grossen Hauptrollen Hollywoods aber meist anderen überliess. Zumindest bis heute. Nun kriegt der 77-Jährige nämlich die Gelegenheit, sein schauspielerisches Können in die Waagschale zu werfen in einem dankbaren Part: Der gleichermassen stolze, eitle und gutmütige Pat ist eine Paraderolle, da sie gleichermassen komisch und tragisch ist. Kier erledigt seine Aufgabe mit Bravour: Er spielt den Friseur nicht nur, er füllt die Rolle vollkommen aus.

Swan Song erinnert ein wenig an andere Alte-Männer-auf-ihrer-letzten-grossen-Reise-Filme wie beispielsweise Nebraska oder The Straight Story. Das Ganze jedoch mit einem Einschlag von Gay Pride, was dem Film auch ein sympathisch-lüpfiges Priscilla-Feeling gibt. Allerdings geht der One-Man-Show von Udo Kier irgendwann ab Mitte des Filmes etwas die Luft aus. Nach der Konfrontation mit seiner abtrünnigen Mitarbeiterin - einer erstaunlich abgelöschten Jennifer Coolidge - verliert die Geschichte ein wenig den Fokus und wird repetitiv.

Da kann auch eine spektakuläre Showeinlage gegen Schluss nicht ganz verdecken, dass der Film nicht besonders viel Neues zu erzählen hat. Es ist das nostalgische Porträt eines alten Mannes, der mit seiner Vergangenheit ins Reine zu kommen versucht. Von dieser Vergangenheit wird in etwas hastigen Rückblenden einiges angedeutet, es bleibt jedoch oberflächlich und etwas banal. Man merkt dem Film die Liebe an, die der Regisseur zu dieser Kleinstadt und dem Stadtoriginal entgegenbringt. In den besten Momenten ist Swan Song denn auch herzerwärmend. So richtig zünden will dieses Feuerwerk der Extravaganz trotz der bunten Kostüme aber nicht.

Simon Eberhard [ebe]

Aufgewachsen mit Indy, Bond und Bud Spencer, hatte Simon seine cineastische Erleuchtung als Teenager mit «Spiel mir das Lied vom Tod». Heute tingelt er durch Festivals und mag Krawallfilme genauso wie Artsy-Farts. Nur wenn jemand einen Film als «radikal» bezeichnet, rollt er genervt mit den Augen.

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Trailer Englisch, mit deutschen Untertitel, 02:13