Filmkritik: Schlappe Schwänze heissen nichts

74° Festival del film Locarno 2021
Nicht «fast», aber furios.
Nicht «fast», aber furios. © Studio / Produzent

Ajo Kawir (Marthino Lio) ist ein furchtloser Tausendsassa in Indonesien. Kein Stunt ist ihm zu wild, und er ist weit herum bekannt als harter Kämpfer. Was aber ebenso alle wissen: Er kompensiert mit seinem Mut eine erektile Dysfunktion. Er bekommt ihn einfach nicht hoch.

Was sich liebt, das prügelt sich.
Was sich liebt, das prügelt sich. © Studio / Produzent

Als er sich bei einer seiner Missionen in die schöne Leibwächterin Iteung (Ladya Cheryl) verliebt, wird der Schlappschwanz zum Problem. Iteung schlägt sich quasi in sein Herz, denn sie ist ebenso versiert wie er mit ihren Fäusten. Aber wie soll er ihr sein Problem erklären? Zumal mit Budi (Reza Rahadian) noch ein Nebenbuhler die Bühne betritt.

Ein Actionfilm als der überraschende Gewinner des Goldenen Leoparden in Locarno 2021. Mit der Ästhetik des VHS-Schunds der Achtzigerjahre erzählt der indonesische Regisseur Edwin erstaunlich offen über männliche Unzulänglichkeiten. Das ist kein Spiel mit versteckten Metaphern über Impotenz, sondern eine Haudrauf-Gaudi, die auch storytechnisch ihre Kapriolen schlägt.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. In seiner entmannenden Verzweiflung schlägt Ajo ein eindeutiges Angebot zum Blowjob von Iteung aus, indem er ihr stattdessen auf einer Chilbi einen roten Schleckstengel überreicht. Dass sie sich trotz allem mit ihm vermählen möchte, will Ajo nicht in den Kopf, mündet aber im Film schon bald in einer Hochzeit. Viel früher als sonst bei romantisch verlinkten Leinwandpärchen.

Es folgen einige Überraschungen mehr. Irgendwann schwenkt der Film auch noch ins selten gesehene Untergenre des Lastwägeler-Dramas oder wird zum Gefängnisfilm. Ladya Cheryil erfreut mit faustkantiger Frauenpower und Chuzpe. Marthino Lio ist nicht der Muskelprotz, den man für so eine Rolle erwartet. Aber eben, er spielt ja auch einen Schlappschwanz.

Koautor Eka Kurniawan hat vieles aus Vengeance is mine all others pay Cash schon in seinen Roman gepackt, dem der Film zugrundeliegt. Edwin (ohne Nachname!) macht daraus ein Mainstream-Vehikel, das wohl im Heimmarkt kommerziell erfolgreich sein wird, auf Festivals aber durch seinen kurligen Charme ins Rollen kommt.

Roland Meier [rm]

Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.

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