Seit 2009 mit Bright Star drehte Jane Campion keinen Kinofilm mehr und widmete sich stattdessen ihrer TV-Serie Top of the Lake. Nun ist auch die australische Regisseurin dem Lockruf Netflix' gefolgt. An der Pressenkonferenz der Filmfestspiele Venedig verglich sie das finanzielle Wirken des Streamingdiensts mit dem Mäzenatentum der Medici während der Renaissance. Und so erzählt sie mal wieder etwas innerhalb einer Laufzeit von gut zwei Stunden.
Dass Campion in ihrem Spätwestern einen machoiden Cowboy ins Zentrum stellt, überrascht schon eher. Benedict Cumberbatch mit amerikanischem Akzent, als wäre er schon ewig Kuh-Hirte, ist nicht wirklich eine Figur, die man von Campion erwartet. Sein Phil, der nach eigenen Angaben «gerne stinkt», ist denn auch nur oberflächlich ein Westernheld. Die The Piano-Regisseurin nimmt das Genre als Staffage für Charaktere, die mit Gender-Identitäten kämpfen, wie man sie 100 Jahre später eigentlich eher erwartet.
Denn die Farmer, die Jane Campion nach der Romanvorlage von Thomas Savage schildert, sind ziemlich «snobby». Wir schreiben die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Die ersten Automobile düsen durch die Rocky Mountains, und die Ausbildung an Colleges der Ivy League muss sich nicht mit der Viehzucht ausschliessen. Ja, sogar Tennis wird gespielt auf dem Hof. Es stossen Welten aufeinander: Grobschlächtiges wie Seile flechten, Stiere kastrieren, Pferde satteln auf der einen Seite. Feinfühliges wie Klavier spielen, anatomisch korrekt zeichnen und Mode anprobieren (weisse Sneakers!) auf der anderen.
Der Film spielt mit unerfüllten Erwartungen und führt auf falsche Fährten. Die mit römischen Zahlen offensiv forcierte Kapitelstruktur verstärkt die Unentschlossenheit, die wohl in der Drehbuchvorlage zu suchen ist. Pfeift Phil den Radetzky-Marsch, droht viel weniger Ungemach, als man es wegen seiner toxischen Männlichkeit erwartet. Denn sogar der grösste Grobian hat einen Seidenschal, den er besonders gerne streichelt. Und Roses Alkoholsucht wirkt wie ein unausgegorenes Klischee.
Kodi Smit-McPhee, glänzend gecastet als feiner Sprenzel, entwickelt sich zur spannendsten Figur eines Films, bei dem hinter all der Symbolik die eigentliche Dramturgie so zu kurz kommt, dass ihm sogar die finale Wendung entgleitet. Der eilig herbeigeführte Schluss verwirrt nur noch.